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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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aufgegeben, auf ihrem richtigen Namen zu bestehen. Es hatte keinen Sinn, für Rosarius war sie Peeh. Rosarius lag im Bett, blickte zur Wand, seine zittrigen Finger tasteten über die Raufasertapete. Neben dem Fenster stand ein Tisch, darauf ein Fernseher, eine Messingvase mit Plastikblumen neben halb vollen Mineralwasserflaschen. Rosarius trank zu wenig. Annie goss Wasser in eine Schnabeltasse, gab ihm zu trinken, danach legte er sich wieder hin und drehte den Kopf zur Wand, tastete mit den Fingerkuppen über die unzähligen kleinen Punkte auf der Tapete, als würde er darin eine Geheimschrift vermuten, murmelte Passagen aus dem «Hyperion»,
mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn die zarte Welle der Luft mir um die Brust spielt.
Er summte, wie er es als kleiner Junge getan hatte, als er noch nicht sprechen konnte.
Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf an den Äther und hinein ins heilige Meer, eines zu sein mit Allem, das ist das Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen. Eines zu sein mit Allem.
Annie rückte den Sessel neben das Bett, setzte sich und hörte dem alten Mannzu.
Und mir ist, als öffnet’ ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben.
Während des Wochenenddienstes hatte sie mehr Zeit, konnte hin und wieder eine Weile ungestört an seinem Bett sitzen, aus dem Fenster sehen, zu den im Abendwind zitternden Zweigen, und dabei seinen vergangenen, entschwindenden Erzählungen lauschen, einem Meer von Geschichten. Rosarius verwechselte Jahreszahlen, politische Ereignisse, nahm irgendwo den Faden wieder auf, redete vom «Hyperion», woraus Vincentini ihm wieder und wieder auf den Verkaufsfahrten vorgelesen hatte, bis Rosarius schließlich viele dieser Zeilen auswendig kannte.
    â€¦
    Als Annie am Abend ins Heim kam, ging Bellarmin gerade in der Dämmerung mit Rucksack und Fernglas zu den Bleisandhalden hinauf. Sie wäre ihm gerne gefolgt, sie wollte mit ihm reden, in seiner Nähe sein. Manchmal übernachtete Bellarmin oben auf dem Plateau unter freiem Himmel und kehrte erst im Morgengrauen zurück. Annie nahm Rosarius’ Füller aus der Kommode und tauschte die leere Patrone gegen eine volle aus, obwohl man ihr das wegen der Klecksereien von Rosarius verboten hatte. Sie legte den Füller in die Kommode zurück unter die Taschentücher, dann setzte sie sich ans Bett. Rosarius erzählte wieder von seiner Peeh, Annie schloss die Augen und hörte ihm zu.
    Â 
    P eehs Mutter war mit dem Apotheker aus Kall verheiratet. Als sie erfuhr, dass ihr Mann seit Jahren mit einer anderen Frau ein Verhältnis hatte, dem zwei Kinder entsprungen waren, verließ sie mit Peeh Hals über Kopf die schöne gemeinsame Wohnung über der Apotheke an der Bahnhofstraße. Nach ihrem Auszug wohnten die beiden bei uns in der Pension. Das war im Frühjahr 1951, ich war dreizehn Jahre alt. Ich sprach immer noch keinen Ton, gab nur ein monotones Summen von mir. Peeh lief von der Terrasse, wo Kathy mit ihrer Mutter saß, zu mir auf die Wiese und stand plötzlich vor mir. Sie sah interessiert zu, wie ich im Dreck grub, versunken in meine Welt. Ich suchte ständig nach Krümeln, Steinchen, Knöchelchen von Mäusen und Maulwürfen, legte sie zusammen, betrachtete alles, sortierte wieder neu, weil ich etwas suchte, bei dem alles zusammenpasste. Ich sah zu Peeh auf. Sie hatte blonde lockige Haare, im Gesicht viele Sommersprossen. Es waren so viele wie bei mir, große und kleine, insgesamt 967 mit denen unter ihrem Kinn, am Hals und an den Armen. Besonders schöne waren unter ihren Augen und an den Nasenflügeln, von denen einige winzig, andere groß wie Streusel waren. Überall schwebten Samen von Wiesenflockenblumen. Sie hockte sich zu mir und blickte mich fragend an. Weil sie nicht wollte, dass ich ihrer rufenden Mutter antwortete, legte sie einen Finger an ihre Lippen. Aber sie brauchte keine Angst zu haben, dass ich auf ihre Mutter reagierte, ich habe ja nie etwas gesagt, zumindest die ersten dreiundzwanzig Jahre meines Lebens nicht.Sie flüsterte: «Was machst du da?» Ich konnte ihr nicht antworten, selbst wenn ich hätte sprechen können. Sie pflückte ein Stängelchen vom Erdrauch, steckte die winzige purpurne Blüte zwischen meine Steinchen und Knöchelchen. Im ersten Moment wollte ich schreien und alles zerstören, wie sonst, wenn mich jemand in

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