Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
realisierte, dass Nick Recht hatte: die graue Maus existierte nicht mehr, sondern hier war eine elegant zurechtgemachte Frau mit dezentem Makeup, die sich selbstbewusst bewegte.
„Sie sehen gut aus, Frau Fuchs!“
„Danke für das Kompliment aus berufenem Munde, Frau Manz.“ Sie schob den blassrosa Seidenschal über ihrem dunklen Kleid zurecht. „Ich habe beschlossen, Ihre Ratschläge zu beherzigen, auch wenn der Anlass vielleicht nicht gerade dafür geeignet ist. Danke, dass Sie gekommen sind, wir sehen uns nächste Woche. Auf Wiedersehen!“
Elena lächelte Marina an, drehte sich mit Schwung auf ihren erstaunlich hohen Absätzen um und entschwand zurück zu den Gästen. Marina schaute ihr staunend nach und schüttelte den Kopf. Das konnte nur bedeuten, dass ein Mann im Spiel war.
Auf dem Weg zurück an die Kirchgasse schickte sie eine SMS auf Nicks Handy und bat um seinen Rückruf, sie habe in der letzten Stunde ein paar wichtige Beobachtungen gemacht. Im Geschäft wartete bereits ihre nächste Kundin, es mussten Bestellungen gemacht und Rechnungen bezahlt werden, der Nachmittag verging wie im Flug. Als Nick kurz vor sieben Uhr anrief, war sie noch so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie zuerst gar nicht wusste, wovon er sprach. Sie verabredeten sich auf Tapas und ein Glas Wein im El Camino, und auf dem kurzen Spaziergang dorthin versuchte Marina, ihre Erinnerungen an die Trauerfeier zu ordnen.
Die Verwandlung von Elena Fuchs konnte sie ganz genau beschreiben, aber die Frau, die mit Ehrlicher gesprochen hatte, hatte sich nur durch ihren grossen schwarzen Hut ausgezeichnet, der ihr Haar und Teile ihres Gesichts bedeckte. Hellhäutig war sie gewesen, und deshalb wohl eher blond als schwarzhaarig, aber das wusste man nie so genau. Sie hatte auch nicht gehört, in welcher Sprache die beiden miteinander geredet hatten – wenn man es genau nahm, würde sie Nick nicht viele Details erzählen können. Trotzdem, sie freute sich auf das Treffen mit ihrem Liebsten, und vielleicht war ja die Falte auf Ehrlichers Stirn ein wichtiger Hinweis.
Donnerstag, 22. November 2007
„Guten Tag, Frau Truninger, hier ist Baumgarten, Kantonspolizei. Ich möchte gerne mit Herrn Ehrlicher sprechen, wenn es möglich ist. – Gut, können Sie ihn bitten, mich so rasch wie möglich zurückzurufen? Vielen Dank und auf Wiedersehen, Frau Truninger.“
Kaum hatte Nick aufgelegt, klingelte sein Telefon wieder. „Baumgarten?“
Eine weibliche Stimme am anderen Ende sagte in wichtigtuerischem Ton: „Guten Tag, Herr Baumgarten. Herr Regierungsrat Kaufmann möchte Sie sprechen, ich verbinde.“
Verdammt – Nick hatte geglaubt, die Sache sei erledigt, aber jetzt machte er sich auf eine Abreibung gefasst. Und dann traute er seinen Ohren nicht: „Franz Kaufmann, grüezi Herr Baumgarten. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich natürlich keinesfalls in Ihre operativen Arbeiten eingreifen will, wie es vielleicht meine Tochter missverstanden hat. Mir ist klar, dass Sie diesen abscheulichen Mord aufklären müssen, und wenn die Spuren in die psychiatrische Klinik führen, müssen Sie natürlich dort ermitteln. Ihr Kommandant hat mir versichert, dass Sie mit der nötigen Diskretion vorgehen werden, und ich vertraue ihm und Ihnen selbstverständlich. Grüssen Sie meine Tochter, und ich wünsche Ihnen raschen Erfolg. Einen schönen Tag noch, Herr Baumgarten, auf Wiederhören.“ Und weg war er.
Nick lächelte entspannt und stellte sich vor, wie der Kommandant dem Herrn Regierungsrat in deutlichen Worten erklärt hatte, was Polizeiarbeit sei und wer über die Ermittlungsmethoden entscheiden konnte. Es ging doch nichts über einen Chef, der sich hinter einen stellte und einem den Rücken stärkte. „Das war dein Vater, Angela“, rief er durch den Raum, „er hat sich entschuldigt dafür, dass er uns dreinreden wollte, und er lässt dich grüssen.“
„Entschuldigt, mein Vater?“ lachte Angela erstaunt. „Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Lass mich raten: unser Chef hat ihm auf deutliche Weise die departementalen Zuständigkeiten erklärt, nicht wahr?“
„Ungefähr so muss es gewesen sein, ja. Er vertraut auf unser diskretes Vorgehen, lässt uns aber sonst freie Hand. Also, ich will so rasch wie möglich nochmals mit Doktor Fischer und dem Oberarzt reden. Kannst du für mich herausfinden, ob sie heute arbeiten?“
Schon wieder klingelte es, und diesmal war Andrew Ehrlicher der Anrufer. „Sie haben mich gesucht, Herr Baumgarten.
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