Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Ich bin im Zug unterwegs zu meiner Mutter nach Bern, was kann ich für Sie tun?“
Nick entschied sich für den direkten Weg. „Wer war die Frau mit dem grossen Hut, mit der Sie gestern am Empfang nach der Trauerfeier gesprochen haben?“
„Sie haben Ihre Spione wohl überall, Herr Baumgarten!“ lachte Ehrlicher. „Das war Viktoria Fischer. Sie hatte die Trauerfeier verpasst und ging dann allein zum Grab, bevor sie ins Casino kam.“
„Meine Spione berichten, dass es kein harmloses Gespräch war, und dass Ihr Gesicht nachher nicht sehr entspannt aussah. Darf ich fragen, was Sie besprochen haben?“
„Vicky hat Angst, Herr Baumgarten, sie war sogar fast panisch. Sie befürchtet, dass Ihre Verdächtigungen ihre Existenz zerstören könnten; wenn auch nur ein kleiner Schatten auf ihre professionelle Haltung fällt, ist sie für die Klinik nicht mehr tragbar. Sie hat mir versichert, dass sie mit dem Mord nichts zu tun hat.“
„Glauben Sie ihr?“
Ehrlicher schwieg ein paar Sekunden und seufzte dann. „Sie ist keine sehr stabile Persönlichkeit, obwohl sie alles tut, um diesen Eindruck zu erwecken. Sie hat sich in Königsfelden und Zürich eine wohlstrukturierte Welt aufgebaut, in der sie zuverlässig funktioniert, aber sobald grössere Probleme auftauchen, reagiert sie konzeptlos und wie ein Kind. Das macht sie natürlich auch verdächtig, und ich habe versucht, ihr zu versichern, dass ihr nichts passieren könne, wenn sie unschuldig sei.“
„Und ist sie das?“ insistierte Nick.
„Ich weiss es wirklich nicht, Herr Baumgarten, aber ich glaube schon, wenn man die direkte Beteiligung oder Anstiftung meint. Da sie aber einen rachsüchtigen Zug hat, will ich nicht ausschliessen, dass sie Tom mit Hilfe ihrer Patientin eins auswischen wollte. Nur ist dann irgendetwas völlig schief gegangen, und der Denkzettel wurde zum tödlichen Drama.“
Nick atmete tief ein. „Hat Sie das Ihnen gegenüber zugegeben?“
„Nein, tut mir Leid, das ist nur meine persönliche Theorie. Hören Sie, Herr Baumgarten, ich weiss vielleicht, wie Sie sie zum Reden bringen. Sie hat grossen Respekt vor Autoritäten, und Sie könnten sie zu dritt mit dem Oberarzt oder sogar dem Chefarzt der Klinik befragen. Ich kann Ihnen fast garantieren, dass sie dann die Wahrheit preisgibt.“
„Danke für den Tipp, Herr Ehrlicher, ich melde mich bei Ihnen.“
„Tun Sie das, und ich hoffe, es klappt. Ihre persönliche Spionin ist übrigens eine sehr attraktive Frau, sie passt gut zu Ihnen. Bye!“
Nick legte auf und lehnte sich zurück. Mittlerweile war er sich sicher, dass er Andrew Ehrlicher vertrauen konnte. Der Mann war widersprüchlich: manchmal misstrauisch und zurückhaltend, ein Einzelgänger, aber gleichzeitig ein warmherziger Mensch mit ausgezeichneten Umgangsformen; er war unabhängig und anscheinend trotzdem beziehungsfähig – ein bisschen wie ich, dachte Nick, und deshalb mag ich ihn wohl auch so gern. Wenn der Fall abgeschlossen war, würde er ihn zusammen mit Marina zu sich einladen, für die beiden kochen und sehen, wie sie sich verstanden.
Angela Kaufmann setzte sich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und stellte ihm einen frischen Espresso hin. „Träumst du oder denkst du nach, Chef?“
„Ein bisschen von beidem“, lächelte er zurück, „danke für den Kaffee. Ehrlicher hat mir gerade gesagt, wie ich möglicherweise die Festung Viktoria Fischer knacken kann. Hast du schon etwas erreicht in Königsfelden?“
„Am Samstag Vormittag sind Müller und Fischer beide gleichzeitig im Dienst, und sie haben um zehn Uhr Zeit für dich. Die Sekretärin wusste, wer ich war und hatte offenbar den Auftrag, keine Einzelgespräche zu vereinbaren. Die beiden wollen scheinbar nur gemeinsam mit dir reden, und überhaupt hätte keiner von ihnen heute oder morgen Zeit. Du musst sie halt überraschend besuchen, wenn du individuell mit ihnen reden willst.“
Nick schüttelte den Kopf. „Andrew Ehrlicher hat mir genau das angeraten: ein Gespräch zu dritt. Er glaubt, dass Doktor Fischer auspacken wird, wenn ihr Chef dabei ist.“
Er leerte das Zuckerpäckchen in seinen Espresso und rührte kurz, dann trank er. „Schmeckt wunderbar. Haben wir eine neue Kaffeesorte, etwa diejenige von George Clooney?“ Er zwinkerte ihr zu.
„So weit gehe ich nun doch wieder nicht, dafür trinken wir zuviel Kaffee. Aber mein Bruder hat aus Italien Bohnen mitgebracht, die sich mit unserer Maschine offensichtlich gut vertragen. Willst du
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