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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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retten (ich möchte ihn jetzt lieber mit diesem Namen nennen). Ihn und mich verbindet jenes wundersame Geschehnis in der Höhle, für das ich einfach keine Erklärung finden konnte und das mir bis heute keine Ruhe lässt. Immanuel war in derselben Höhle. Mehr noch, wie die Dorfbewohner sagten, kam er aus dieser Höhle. Vielleicht konnte er ja das Geheimnis erklären ?
    Zwei Dinge schienen mir ganz klar.
    Erstens, dass der Prophet – oder der Pseudo-Prophet, darüber will ich nicht urteilen – im Heiligen Land zu suchen sein musste. Entweder hielt er sich bereits dort auf, oder er war auf dem Wege dorthin. So hatten es die »Findelkinder« gesagt, und schließlich war ja Scheluchin, der falsche Immanuel, nicht ohne Grund unterwegs nach Palästina gewesen.
    Zweitens, dass die Feinde Immanuels unter unseren damaligen Mitreisenden auf der »Stör« zu suchen sein mussten. (Ich will dazu gleich anmerken, dass ich mich in diesem Punkt geirrt habe. Aber das fand ich erst viel später heraus, nachdem ich kreuz und quer durch Judäa, Samaria, Galiläa und Idumäa gereist war.)
    Folgendermaßen kam ich zu der Liste meiner Verdächtigen:
    Zunächst stellte ich mir die Frage, wer den ehemaligen Gendarm Razewitsch hätte beauftragen können.
    Die »Warschauer«, von denen Matwej Benzionowitsch gesprochen hatte, kamen für mich nicht in Betracht. Irgendwelche Diebe, seien es auch die allerraffiniertesten, hätten nicht so beharrlich und auf so skurrile Weise versucht, mich zu beseitigen. Und dass ihnen irgendein Prediger dermaßen im Weg sein sollte, dieser Gedanke schien mir geradezu absurd.
    Aber diese übergeschnappten Menschenhasser, die sich »Leibgarde Christi« nennen, die konnten natürlich in so einem Prediger, der russische Menschen vom orthodoxen Glauben zum Judentum bekehrt, einen gefährlichen Feind sehen.
    Dasselbe gilt für das entgegengesetzte Lager, für die fanatischen Anhänger eines autonomen Judentums, die Immanuel für einen bösen Narren halten, der Spott mit ihrem Glauben treibt.
    Außerdem gab es auf der »Stör« noch eine Gesellschaft von Zionisten, außerordentlich tatkräftigen jungen Leuten, die Immanuel in Verdacht hatten, mit der Geheimpolizei in Verbindung zu stehen. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass es unter den Verfechtern der Idee eines eigenen jüdischen Staates Besessene gibt, die bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen, wenn es nur ihren Zielen förderlich ist.
    Später, als ich schon hier in Palästina war, kam mir noch eine weitere Version in den Sinn, aber die werde ich vorläufig noch für mich behalten, um Sie nicht zu erzürnen, zumal sie sich, wie die vorherige auch, letztlich als haltlos erwies.
    Anhand der Liste meiner Verdächtigen arbeitete ich einen Plan aus, wie ich weiter Vorgehen wollte, und ich habe mich nach meiner Ankunft in Jaffa unverzüglich an seine Durchführung gemacht. Mich trieb die Angst, dass die mächtigen Feinde Immanuels ihn vor mir erreichen würden und ich zu spät käme.
    Zuerst begab ich mich nach Jerusalem . . .«
    Der Bischof las, wie Pelagia ihre Versionen eine nach der anderen überprüfte und verwarf und gleichzeitig dem rastlosen Propheten, den es an keinem Orte lange hielt, immer näher kam.
    Dabei geschah etwas Seltsames mit Mitrofani. Von der ersten Zeile an hatte er sich in einem Zustand höchster Erregung befunden, die mit jeder Seite immer stärker und stärker wurde. Bald zitterten ihm die Hände so heftig, dass er die Blätter auf den Tisch legen und sie mit seinem Brillenetui beschweren musste. Der Schweiß rann ihm übers Gesicht, aber er merkte es nicht. Geistesabwesend setzte er den Hut ab und legte ihn neben sich. Irgendwann schob er ihn mit dem Ellenbogen vom Tisch, aber auch das bemerkte er nicht.
    Schließlich erreichte seine nervöse Erregung ihren Gipfelpunkt und schlug ins Gegenteil um. Ein Schwindelgefühl bemächtigte sich seiner, und unaufhaltsam fiel er in Schlaf.
    Vor vielen Jahren, als er als Kommandeur einer Eskadron an der Schlacht bei Balaklawa teilnahm, hatte er einmal erlebt, wie der Oberbefehlshaber der Truppe direkt an seinem Beobachtungsposten einschlief. Er saß an einem Klapptisch, schaute mit äußerster Konzentration durchs Fernrohr und gab dabei seine Befehle aus, und auf einmal, im entscheidenden Moment der Schlacht, ließ er seinen Kopf auf die Arme sinken und schlief ein. Die Adjutanten stürzten erschrocken zu ihm hin, aber der Stabschef, ein alter, erfahrener Krieger, sagte: »Lassen Sie ihn nur, das

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