Pelagia und der rote Hahn
Sachen für die Reise zusammenzupacken. Usserdow, der vor Neugierde verging, passte einen günstigen Moment ab, als der Bischof sich ins Ankleidezimmer zurückgezogen hatte, und stibitzte den Brief vom Tisch, der die wundersame Veränderung Mitrofanis bewirkt hatte. Die Botschaft des Verstorbenen interessierte Vater Serafim aufs Höchste – sie interessierte ihn so sehr, dass er es sogar für wert erachtete, das Briefchen in sein Buch abzuschreiben. Von dieser Tätigkeit vollkommen vereinnahmt, bemerkte der bischöfliche Schriftführer nicht, wie der Bischof, bereits in seiner Reisekutte, aber noch in Strümpfen, wieder ins Kabinett trat.
Als Usserdow erkannte, dass er ertappt worden war, wurde er leichenblass, und sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. Er wich vor dem lautlos auf ihn zuschreitenden Bischof zurück, sein Kopf zuckte krampfhaft, aber er bekam kein Wort heraus.
»Ach, so ist das also«, sagte Mitrofani gedehnt. »Matwej und ich, wir haben uns die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, woher man dort oben alle unsere Geheimnisse kennt. Du warst das also, du Judas. Du hast ihnen von der Stiefelspur berichtet, und von dem Plan mit Palästina auch. In wessen Dienst stehst du? Rede!!!«
Dieses »Rede!!« donnerte der Bischof in solcher Lautstärke heraus, das der Kronleuchter erzitterte, und der Sekretär fiel krachend auf die Knie. Sein so ausnehmend hübsches Gesicht war jetzt längst nicht mehr so hübsch.
»Sprich, Elender!!!«
Der Sekretär deutete mit zitterndem Finger zur Decke.
»Der Obrigkeit? Wegen deiner Karriere? Ich weiß, du willst Bischof werden, deshalb hast du auch nicht geheiratet. Für wen spionierst du? Für die Geheimpolizei? Für den Synod?«
Der Bischof packte den bibbernden Usserdow am Kragen. Der kniff ängstlich die Augen zusammen und hätte bestimmt umgehend sein Geheimnis preisgegeben, aber Mitrofani öffnete die Hand wieder.
»Na gut. Matwej hat mir geboten, keine Nachforschungen anzustellen, also werde ich es auch nicht tun. Er ist ein staatsmännischer Kopf, er hat sich was dabei gedacht. Aber meinen Hirtensegen, den sollst du kriegen.«
Er holte kurz aus, haargenau so wie vor vielen Jahren bei seinen zahlreichen Raufereien als Fahnenjunker, und brachte Vater Serafims Gesichtszüge in Bewegung, aber nicht in metaphorischem Sinne, sondern in der denkbar schlagendsten Form, sodass es die Nase mit einem hässlichen Knirschen zur Seite schob.
Blutüberströmt stürzte der Ärmste auf den Teppich.
Der wird Bischof, dachte Mitrofani noch flüchtig, während er dem Ausgang zustrebte. Auf jeden Fall wird er Bischof. Aber einer mit schiefer Nase.
Im Vorzimmer wartete ein Zellendiener mit dem hastig gepackten Koffer. Seine Eminenz bekreuzigte sich schwungvoll vor der Ikone gegenüber dem Ausgang – dem Bild des von ihm ganz besonders verehrten Apostels Judas Thaddäus, dem Schutzpatron aller hoffnungslosen Unternehmungen und Tröster der Verzweifelten. Dann griff er einen Stab, nahm seinen breitkrempigen Reisehut und lief in den Hof, wo ein Viergespann auf ihn wartete.
Seit dem Eintreffen des Briefes war kaum eine halbe Stunde vergangen.
Der Bischof liest noch einen Brief und träumt zwei Träume
Zwei Tage später, bevor er sich in Odessa einschiffte, sandte Mitrofani ein Telegramm an den Vater Archimandrit in die Jerusalemer Mission mit der Anfrage, ob Seine Hochehrwürden Kenntnis über den Aufenthaltsort und das Befinden der Pilgerin Lissizyna habe.
Die Antwort traf noch vor seiner Abfahrt ein. Der Archimandrit berichtete: Ja, eine Person dieses Namens sei in Jerusalem in einem Hotel abgestiegen, sie sei indes schon vor acht Tagen mit unbekanntem Ziel abgereist und seitdem nicht wieder gesehen worden, obwohl ihr Gepäck sich immer noch in ihrem Hotelzimmer befinde.
Mitrofani knirschte mit den Zähnen, aber er erlaubte sich nicht zu verzweifeln.
Während der fünf Tage, die das Schiff nach Jaffa unterwegs war, betete er beinahe ununterbrochen. Wohl niemals zuvor hatte er sich so lange und intensiv dem Gebet hingegeben.
Vor dem Fenster seiner Kabine versammelten sich die Pilger, betrachteten voller Ehrfurcht den sich immer wieder tief zum Boden verneigenden Bischof, und sie vereinbarten untereinander, den heiligen Mann nicht unnötig zu belästigen, indem ihn jeder einzeln um seinen Segen bat, sondern er sollte sie alle auf einen Schlag segnen, kurz bevor sie das Schiff verließen.
Am achten Tage nach seiner Abreise aus Sawolshsk traf Seine Eminenz bereits in der
Weitere Kostenlose Bücher