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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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haben, dass er tatsächlich ein außergewöhnlicher Mensch ist, ist es an der Zeit, das Thema anzusprechen, das ich bis zu diesem Moment gemieden habe, weil ich Sie nicht empören wollte.
    Sie erinnern sich, als ich über meine Reise nach Sodom berichtete, schrieb ich: »Kaum hörte ich die Worte ›Freitag‹ und ›Garten‹, da fügte sich auf einmal eins zum anderen, da wusste ich, wo und wann ich Immanuel finden würde. Meine Hypothese hat sich bestätigt.«
    Also, zunächst mal die Hypothese: Sie klingt so absurd, dass ich erst jetzt den Mut finde, sie Ihnen darzulegen.
    Jetzt. Gleich schreibe ich es. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen.
    Also.
    WAS WÄRE, WENN ES SICH UM EINE ZWEITE EPIPHANIE HANDELTE?
    Ich sehe es bildlich vor mir, wie Ihre buschigen Augenbrauen sich zornig heben, und deshalb beeile ich mich, richtig zu stellen:
    Nein, natürlich habe ich nicht gedacht, der »Prophet Manuila« sei Jesus Christus, der zweitausend Jahren noch einmal zu uns Menschen herabgestiegen wäre. Aber was wäre, wenn dieser Mensch selber aufrichtig glaubte, er sei Christus?
    Sein ganzes Verhalten, all seine Worte und Taten, und schließlich auch sein Name (Wie Sie wissen, wurde doch der Name des Erlösers so angekündigt – Immanuel) brachten mich auf diesen Gedanken.
    Nicht ein Prediger, der von Christi Wahrheit erfüllt ist, sondern ein Mensch, der sich als der Messias empfindet und daher in aller Ruhe die Prinzipien und grundlegenden Gesetze des Christentums umgestaltet, so, wie es Jesus auch getan hätte, der
    selbst ein Gesetzgeber und Reformator war.
    Während dieser Tage, da ich kreuz und quer durchs Heilige Land reiste, habe ich mit so diese fantastische Hypothese gewöhnt, dass sich dann und wann bei mir sogar der gotteslästerliche Gedanke einschlich: Vielleicht ist er ja wirklich Jesus?
    Woher kam er. dieser »wilde Tatar«? Ist es denn möglich, dass ein Bauer aus dem Gouvernement Wjatka oder Sawolshsk die althebräische und die aramäische Sprache beherrscht?
    Und als ich mich zwischen Wirklichkeit und Fantasie schon vollkommen verloren hatte, sagte ich mir: Aber wäre er ein Einwohner des alten Palästina, der durch irgendein Wunder in das Russland unserer Tage geraten ist, hätte er doch nicht innerhalb von nur drei Jahren die russische Sprache so gut erlernen können. Und da erschrak ich: ER hätte es nicht können sollen? ER, wenn er es denn wäre, hätte doch alles gekonnt, was immer er gewollt hätte!
    Als ich dann hörte, dass Immanuel um jeden Preis in der Nacht auf Freitag in einem bestimmten Garten sein wollte, musste ich sofort an jene Donnerstagnacht denken, als der Erlöser verraten wurde und die Häscher ihn im Garten Gethsemane ergriffen.
    Dorthin also führte mein Weg.
    Und dort fand ich ihn auch, im Garten Gethsemane!
    Als ich mich ein wenig gefasst hatte, nahm ich all meinen Mut zusammen, ich unterbrach seine Erzählung über die Löwendressur und fragte geradeheraus:
    »Bist du – Jesus Christus ?«
    Merkwürdig, nicht wahr, dass man nicht »Sie« sagen kann, so eine stellt? Denn bis zu diesem Augenblick hatte ich Immanuel so angeredet, wie man einen Menschen nach den Regeln der Höflichkeit anredet.
    Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, erfasste mich ein Beben in meinem Innersten. Ich erwartete wohl, dass sich sein Gesicht zu einer Grimasse des Wahnsinns verzerren würde, dass ich im nächsten Moment nur das Fieberdelirium eines Kranken erleben würde, in dessen Hirn ein bestimmtes Wort – in diesem Falle der Name des Erlösers – sofort einen akuten Anfall hervorruft.
    Ich fasse zusammen, was er mir daraufhin antwortete (noch einmal: Ich kann seine Worte nur dem Inhalt nach wiedergeben, weil es mir unmöglich ist, alle Eigentümlichkeiten seiner Sprache nachzumachen).
    »Meine Eltern haben mich Immanuel genannt, das bedeutet ›Gott mit uns‹. Meine Scheluchin nannten mich Jehoschua, das heißt auf Russisch ›Jehowa hilf. Das Wort ›Christus‹ habe ich hier bei euch zum ersten Male gehört, und ich bin lange nicht dahinter gekommen, dass damit der Gekreuzigte gemeint ist, zu dem alle beten. Aber als ich dann die russische Schrift gelernt hatte und das Neue Testament las, da traf es mich doch wie ein Schlag. In diesem Buch sind natürlich viele Tatsachen durcheinander gebracht oder unrichtig dargestellt, und es wimmelt darin von Fabeln und Märchen, aber je mehr ich las, desto klarer wurde mir: Das handelt von mir, das bin ja ich, der Gekreuzigte! Ich bin der

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