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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Lig, damit der Weg der Seele zum Körper und zurück nicht zu lang sei, denn es gibt nichts Reinigenderes als diesen Übergang.
    Die unserem Lebensraum am nächsten gelegene Besondere Höhle befindet sich in der Steiermark, nahe dem Berg Eisenhut, wie ein ehrwürdiger Mann aus der Stadt Innsbruck einst dem Vater Prior der Abtei Blaugarten berichtete. Den genauen Ort jedoch konnte oder wollte er nicht nennen.
    Nun geschieht es bisweilen, und dies gar nicht selten, dass wohl eine Seele vor Gottes Richterstuhl gerufen wird, aber wieder auf die Erde zurückkehrt, weil sich die Barmherzige Muttergottes oder der Schutzpatron jenes Sünders für ihn eingesetzt hat. Es bleibt dann jedoch in dieser Seele eine dunkle Erinnerung an ihren Weg durch die Besondere Höhle zurück. Auch mir ist einmal ein solcher Mensch begegnet, dessen Seele sich schon vom Leib gelöst hatte, aber noch einmal zurückkehrte. Es handelte sich um einen Fuhrknecht, der vormals im Dienste des Landgrafen von Hessen gestanden, mit Namen Godehard aus Oberwald. Dieser Godehard war von seinem Ross gestürzt, mit dem Kopf auf einem Steine aufgeschlagen und für tot gehalten worden, jedoch am darauffolgenden Tage, als er in seinem Sarge lag und man schon die Totenmesse hielt, schlug er plötzlich die Augen auf und war wenig später gänzlich genesen. Er berichtete, seine Seele sei vom Körper getrennt gewesen und habe sich durch ein enges dunkles Gewölbe gezwängt, als plötzlich am Ende dieser Höhle ein grelles Licht erschienen sei und eine geheimnisvolle Kraft die verirrte Seele zurück auf die Erde gezogen habe. Der Vater Prior der Abtei Blaugarten, der bei dieser Schilderung zugegen war, fragte jenen Godehard, ob nicht jemand für ihn zur Heiligen Jungfrau Maria oder zum heiligen Godehard von Hildesheim gebetet habe, und es erwies sich, dass während der ganzen Zeit, da der Fuhrknecht wie tot dagelegen, sein Weib, welches ihren Godehard von Herzen liebte, ohne Unterlass für seine Seele gebetet hatte.
    Vom Ansehen sind die Besonderen Höhlen nicht von den gewöhnlichen zu unterscheiden, aber wer zufällig sich in eine von ihnen verirrt, kann, so er eine empfindsame Seele besitzt, einen leisen, himmlischen Klang vernehmen. Ist jedoch seine Seele harthörig, so vernimmt er gar nichts, sondern spürt vielmehr nur den unüberwindlichen Wunsch, so schnell wie möglich aus dieser Höhe hinauszukommen und nie mehr dorthin zurückzukehren.«
    Als Pelagia von dem »himmlischen Klang« las, erschrak sie und fühlte, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Doch die größte Erschütterung stand ihr noch bevor.
    »Kummer und Unglück erwarten den, der bei Tagesanbruch in eine Besondere Höhle geraten ist und den Schrei eines roten Hahnes hört, denn dann ist er mit Seele und Körper im Raum zwischen den Welten, wo die Zeit nicht fließt (in intermundis ubi non est aemanatio temporis), gefangen, und er kann solcherart für alle Ewigkeit verschwinden oder in eine andere Zeit und sogar in eine andere Besondere Höhle geworfen werden.
    Jener bereits erwähnte ehrwürdige Mann aus Innsbruck berichtete, wie einmal ein Geflügelhändler, von einem Unwetter überrascht, die Nacht in einer solchen Höhle verbrachte, ohne zu wissen, dass es sich um eine Besondere Höhle handelte. Er hatte einen Käfig bei sich, in dem ein Hahn und mehrere Hennen saßen. Dieser Mann hatte am Vorabend von Mariä Himmelfahrt die Höhle betreten, aber heraus kam er drei Monate früher, am Tag der Auffindung des Kreuzes Christi, zudem in einer ganz anderen Höhle, welche im Reiche des schottischen Königs Jakob gelegen waJaël und als er, zu Fuß und um Almosen bettelnd, wieder bei seinem heimischen Hause anlangte, wollte niemand ihm glauben, dass er im schottischen Königreiche gewesen, obgleich dieser Händler gemeinhin als ehrlicher Mann galt.
    Überdies wurde mir berichtet von einem Jäger namens Rup aus Seeland, welcher einmal einen Hahnenschrei aus einer unterirdischen Höhle vernahm und im Glauben, ein Fuchs habe diesen Hahn gestohlen, in die Höhle kroch, um sich den Fuchspelz zu erbeuten. Als er wenig später in sein Dorf kam, erkannte ihn dort niemand mehr, er war volle zwanzig Jahre fort gewesen.
    Und ein ligurischer Kaufmann erzählte nach seiner Rückkehraus China dem vornehmen Klaus von Weiler, welcher mir gut bekannt ist, eine Geschichte (dieses trug sich zu in der Stadt Lübeck, im Gasthaus ›Zur Fregatte‹ und in Gegenwart von Zeugen), die ihm, jenem Kaufmann, wiederum

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