Pelagia und der rote Hahn
Leitung der Schule, in der sie zuvor als Lehrerin unterrichtet hatte, übernahm, unterwarf Pelagia den Lehrplan einer radikalen Umgestaltung und stieß damit auf teilweise heftige Kritik – und zwar gleichermaßen von oben wie von unten.
Von oben, das heißt von Bischof Mitrofani, der sich den Neuerungen zwar nicht in den Weg stellte, sie aber ganz und gar nicht billigte. Er sparte diesbezüglich nicht mit bissigen Bemerkungen und prophezeite der Aufrührerin überdies die größten Unannehmlichkeiten vonseiten des Heiligen Synods, wobei er ihr auch gleich androhte, er werde in einem solchen Falle ganz bestimmt nicht seine schützende Hand über sie halten, sondern sie ohne Zögern ans Messer liefern. »Sie werden Ihre Hand über mich halten, Eminenz, natürlich werden Sie das, es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig«, antwortete Pelagia ihm in Gedanken, gleichwohl sie nach außen hin tiefe Demut demonstrierte.
Die Kritik von unten war um einiges lästiger. Die Lehrerinnen im Range einfacher Ordensschwestern waren freilich Gehorsam gewohnt und wären niemals auf den Gedanken gekommen, den Willen der Schulleiterin in Frage zu stellen, aber die weltliche Lehrerin Maria Wikentjewna Swekolkina, die erst vor kurzem das Lehrerseminar in Moskau abgeschlossen hatte und in der noch das Feuer der Aufklärung glühte, machte Pelagia das Leben reichlich sauer.
An dieser Stelle müssen wir erklären, worin das Wesen von Pelagias Reformen bestand.
Die Schulzeit an der bischöflichen Lehranstalt dauerte vier Jahre, und in so einer kurzen Frist kann man den Schülern natürlich nicht viel beibringen. Deshalb entschied Pelagia, den Unterricht auf lediglich vier, ihrer Meinung nach unverzichtbare Fächer zu beschränken. Weniger, aber dafür besser, so lautete das Motto der Schulleiterin. Schweren Herzens strich sie die Naturwissenschaften aus dem Lehrplan, desgleichen die Geografie. Wenn sie die Schule erst einmal beendet hatten, würden die Mädchen, die allesamt aus armen Familien stammten, die Gesetze der Physik und die Hauptstädte fremder Länder sowieso schneller wieder vergessen, als sie sie gelernt hatten. Wichtigstes Fach wurde die Hauswirtschaft, für die sie die Hälfte der zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden ansetzte, daneben behielt sie die Fächer Gymnastik, Literatur und Katechismus bei; zu Letzterem gehörte auch der Gesangsunterricht.
Ihre Auswahl begründete sie folgendermaßen:
Für eine künftige Ehefrau und Mutter ist es nun einmal am wichtigsten, über Haushaltsführung Bescheid zu wissen, Gymnastik (während der Sommermonate vor allem Schwimmen, in der kalten Jahreszeit Übungen im Saal sowie kalte Güsse zwecks Abhärtung) sind der Gesundheit und der Figur in gleichem Maße zuträglich. Literatur wiederum ist unabdingbar für die Ausformung edler Gefühle und einer korrekten Ausdrucksweise. Und was die Frage nach dem Zusammenhang von Katechismus und Singen anging, so vertrat sie die Auffassung, dass die Kinder am einfachsten und natürlichsten über die Musik Zugang zum Allerhöchsten finden.
In kürzester Zeit war der Schulchor in der ganzen Sawolshsker Region bekannt und berühmt. Sogar der Gouverneur von Gaggenau musste sich bisweilen eine Träne der Rührung aus dem Auge wischen, wenn die Schülerinnen (jede in braunem Kleid und weißem Tuch) mit Engelsstimmen tirilierten: »Meine Seele preiset Gott den Herrn« oder »Herzallerliebster«.
Der renitenten Seminaristin gegenüber argumentierte Pelagia, dass man, falls eines der Mädchen Interesse an weiterer Lehre zeige, dieses ja auf Staatskosten in einer städtischen Schule unterbringen oder sogar, wenn es sich sehr begabt anstelle, aufs Gymnasium schicken könne. Die Gouvernementskasse stelle dafür spezielle Mittel bereit.
Aber Maria Wikentjewna Swekolkina wollte davon nichts hören. Stattdessen belegte sie die Schulleiterin mit einem beachtenswerten Sortiment von Schimpfwörtern, deren Ausgesuchtheit Pelagia manches Mal die Tränen in die Augen trieb: verzopfte Reaktionärin, muffige Nonne, olle Obskurantin und feige Steigbügelhalterin des männlichen Despotismus, der nichts anderes im Sinne habe, als die Frauen in den Käfig des Haushalts zu sperren.
Drei hektische Tage verbrachte Pelagia mit der Erledigung von angesammelten Arbeiten sowie diversen Scharmützeln mit der Progressivistin. Aber sogar während dieser unruhigen Zeit passierte es immer wieder, dass sie mitten im höchsten Arbeitseifer plötzlich wie erstarrt stehen
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