Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Galois gehindert hatte, ein reifes Alter zu erreichen und die Welt mit dem ganzen Glanz seines viel versprechenden Genies zu verblüffen.
    Nein, Alexej Stepanowitsch wurde nicht im Duell erschossen wie der junge Franzose, aber er war in eine Geschichte geraten, die ein übles Ende für ihn nahm.
    Eines Tages hatte er die Kühnheit besessen, mit der Beurteilung einer Abhandlung, die er in Chemie oder Physik geschrieben hatte, nicht einverstanden zu sein – einer Beurteilung, die Serafim Wikentjewitsch Nossatschewski selbst verfasst hatte, eine Koryphäe der russischen Wissenschaft, der zudem Geheimrat und Prorektor der Universität von K. war. In dieser Beurteilung zeigte sich der ehrwürdige Gelehrte nicht ausreichend begeistert von den Schlussfolgerungen des begabten Studenten, womit er Lentotschkin in Rage versetzte. Der junge Mann fügte der Beurteilung Nossatschewskis eine überaus freche Bemerkung hinzu und sandte das Heft zurück.
    Der Gelehrte war furchtbar gekränkt (in der Bemerkung wurden seine Entdeckungen sowie der Wert des Beitrags Seiner Exzellenz zur Wissenschaft generell in Zweifel gezogen), und unter Aufbietung seiner administrativen Macht ließ er dem unverschämten Studenten das Stipendium streichen.
    Alexej Stepanowitsch hatte sich natürlich empörend aufgeführt, aber mit Rücksicht auf das jugendliche Alter und die unzweifelhafte Begabung des Studenten hätte Nossatschewski sich auch mit einer weniger drakonischen Strafe begnügen können. Der Entzug des Stipendiums bedeutete, dass Lentotschkin die Universität verlassen und unverzüglich eine Stellung antreten musste – und sei es als Buchhalter in der Dampfschifffahrt – , womit er all seine großen Träume würde begraben können.
    Viele verurteilten die Grausamkeit des prorektoralen Verdikts, einige drängten Alexej Stepanowitsch, sich schuldig zu bekennen, und sagten, Nossatschewski sei streng, aber nicht nachtragend, doch sein Stolz ließ das nicht zu. Der junge Mann wählte einen anderen Weg; er sah sich als Ritter, der einen Zweikampf mit dem Drachen aufnimmt – und streckte die Schlange mit einem tödlichen Schlag nieder. Er rächte sich so, dass der Herr Geheimrat gezwungen war . . .
    Aber wir wollen nicht vorgreifen. Die Geschichte verdient es, der Reihe nach erzählt zu werden.
    Serafim Wikentjewitsch Nossatschewski hatte eine Schwäche, die der ganzen Stadt bekannt war – seine krankhafte Wollust. Dieser Diener der Wissenschaft konnte, obgleich er bereits ein stattliches Alter erreicht hatte, kein hübsches Frätzchen, keine gelockte Strähne über einem zarten Ohr sehen, ohne sich in einen bocksbeinigen Satyr zu verwandeln, wobei er obendrein keinen Unterschied zwischen anständigen Damen und Kokotten der allerübelsten Sorte machte. Wenn dieses unsittliche Verhalten von der Gesellschaft verziehen wurde, dann nur aus Achtung vor einer Koryphäe der Universität von K. und weil Nossatschewski seine Eskapaden nicht zur Schau stellte, sondern kluge Diskretion wahrte.
    Und auf ebendiesem Fuß erwischte ihn unser junger Paris.
    Aljoscha selbst war sehr gut aussehend, aber er war nicht von männlicher, sondern eher von mädchenhafter Schönheit: Mit seinem Lockenkopf, den dichten Augenbrauen, den seidigen, elegant geschwungenen Wimpern und dem Pfirsichflaum auf den rosigen Wangen gehörte er zu jenen schönen Menschen, die lange nicht altern und noch mit vierzig ihre frische Gesichtsfarbe und den Glanz ihrer Haut bewahrt haben, danach aber schnell Runzeln und Falten bekommen, wie ein angebissener und dann vergessener Apfel.
    Bei all seiner Jugend wirkte Aljoscha noch jünger als er war – der reinste Cherub. Als er das Festtagskleid seiner Schwester anzog, eine üppige Perücke überstülpte, ein Schönheitspflästerchen anklebte und sich die Lippen rot anmalte, verwandelte er sich in eine so überzeugende Kokotte, dass der wollüstige Serafim Wikentjewitsch nicht umhin konnte, sie zu beachten, umso mehr, als das verführerische Mädchen wie mit Absicht immerzu in der Nähe des Anwesens Seiner Exzellenz spazieren ging.
    Nossatschewski schickte seinen Kammerdiener zu der Flaneurin hinaus. Dieser berichtete, die Mademoiselle sei zwar ein leichtes Mädchen, doch sie könne sich ihre Kavaliere aussuchen und promeniere nicht des Geldverdienens wegen über die Pariser Straße, sondern um sich zu erquicken. Der Satyr befahl dem Diener, er möge ihn in das Korsett einschnüren, zog seine Atlasweste und den samtenen Gehrock mit den

Weitere Kostenlose Bücher