Ina: Der Konflikt (German Edition)
Kapitel 1
Ina drehte sich um. Sie konnte sich nicht durchringen weiter zugehen. Die Wachen, die sie nach einer strengen Kontrolle durch das Eingangstor liessen, standen da und beobachteten sie. Der Wind wirbelte um ihre Haare und liess ihren ganzen Körper schaudern. Es war ein kühler Tag, obwohl die Sonne am Himmel stand und keine Wolke zu sehen war.
Wieder wandte sie sich dem Haus. Gross, rechteckige Form, zwei Etagen und ein Untergeschoss. Die Fassade war mit braun-grauen Steinplatten besetzt. Vom Eingangstor führte ein Weg in einem leichten Bogen über den Rasen bis zum Eingang des Hauses. Auf der rechten Seite dieses Weges war ein kleiner Teich mit Brunnen, auf der linken Seite standen einige Statuen über die ganze Fläche verteilt. Ein seltsames Gefühl überkam Ina. Sie hatte bloss ein Jahr dort gelebt, ehe Nilia sie in die Rekrutenschule geschickt hatte. Nun, nach drei Jahren war ihre Ausbildung abgeschlossen und sie kehrte in dieses seltsame Familienidyll zurück. Ina blickte auf den Boden zu ihrer Tasche, welche die letzten drei Jahre einiges miterlebt hatte. Ausgefranster Riemen, Schleifspuren, gestopfte Risse. Sie warf sich die Tasche über die Schulter und ging auf den Eingang zu. Mit jedem Schritt den sie machte wuchs ihre Aufregung, ihre Anspannung, ihre Nervosität, die Angst vor der Ungewissheit was sie erwarten würde. Am liebsten wäre sie in die andere Richtung gelaufen, einfach weggerannt. Aber sie hatte keine Wahl. Sie hätte sonst nirgendwo hingehen können.
Vor der Tür blieb sie stehen, atmete tief durch, versuchte sich zu sammeln. Noch bevor Ina anklopfen konnte, wurde die Tür bereits geöffnet. Eine ältere Dame mit grauen Haaren und einem einladenden Lächeln auf dem Gesicht stand vor ihr. Map, die Haushälterin, die einzige gute Seele dieses Hauses breitete ihre Arme aus und drückte Ina fest an sich. „Willkommen Zuhause.“ Diese Worte klangen eigenartig. Doch Ina erwiderte die Umarmung, denn Map war die einzige Person in dem ganzen Haus der sich Ina jemals verbunden fühlte. Dann liess Map ihren Blick einen Moment auf Ina’s Gesicht ruhen: „Du wurdest älter“, sagte sie schliesslich und nahm ihr die Tasche ab, wobei sie sich unter dem Gewicht krümmte. Es hatte keinen Sinn sich mit Map darüber zu streiten und Ina war einfach zu müde dafür. Also ging sie schweigend hinter ihr her. Es waren einige flache Stufen bis zum Vorraum mit den Schränken für die Mäntel. Die Treppe war breit, sodass ohne Problem vier Leute nebeneinander stehen konnten. Auf beiden Seiten war an den Wänden ein silbernes Geländer mit Verzierungen befestigt. Die Treppe selbst war aus weissem Stein. Oben angekommen wollte Ina ihren Mantel ausziehen, doch Map ging ohne Unterbruch weiter, sodass sie ihren Mantel anbehielt und ihr folgte. Geradewegs durch alle Räume und Flure hindurch, direkt in ihr früheres Zimmer. Dort angekommen wollte Map ihre Tasche auf das Bett legen, entschied sich in Anbetracht des Schmutzes daran aber anders und stelle sie schliesslich neben den Schrank. „Im Schrank hat es Kleider die Dir passen sollten.“ Map stand da und betrachtete Ina, die sich ihrerseits im Zimmer umsah. „Sie haben es neu eingerichtet, hoffentlich gefällt es dir.“ Ina reagierte nicht darauf. Map kannte sie gut genug um zu erkennen, dass es ihr nicht gefiel. „Madam Nilia hat viel Zeit aufgewendet um es einzurichten. Du solltest ihr einfach sagen, dass es dir gefällt.“
„Das werde ich, danke Map. – Wo ist sie gerade?“
„Auf dem Markt, sie wird erst gegen Abend zurückkehren. Wir hatten dich nicht so früh erwartet“, sie musterte Ina mit ihrem kritischen Blick von oben bis unten. Ina blickte unbeabsichtigt selbst an sich hinunter und bemerkte erst jetzt, dass sie keinen guten Eindruck machte. In ihrer staubigen Rekrutenuniform, mit den abgewetzten Knien, den teilweise ausgefransten Nähten und den zerrissenen Knopflöchern entsprach sie keineswegs der Norm, die man sich in diesem Haus gewohnt war. Zum Glück war es nur Map die sie so sah. Schliesslich unterbrach Map die Stille: „Ich lasse dir ein Bad ein. – Du hast noch genug Zeit dich zu waschen und danach werde ich dir in der Küche etwas zu Essen machen.“ Mit einem erzwungenen Lächeln antwortete Ina schlicht: „Danke.“ Map drehte sich um und verliess das Zimmer. Sie wusste, dass Ina wahrscheinlich seit mehr als einem Tag nicht mehr geschlafen hatte, dass sie in den letzten Tagen wohl mehr als eine Mahlzeit verpasste
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