Pelagia und der schwarze Moench
Unachtsamkeit ein stoffliches Zeichen ihrer Anwesenheit in unserer materiellen Welt hinterlassen hat, dann kann dieses physische Zeichen vom Menschen benutzt werden, um das Phantom in die Welt der Stofflichkeit zu holen, die von unseren Sinnesorganen wahrgenommen wird. Das ist die Hauptsache!
Weiter wird in diesem Traktat auf mehreren Seiten ausführlich dargelegt, was man dazu tun muss.
Man muss sich genau um Mitternacht, wenn die dritte Dimension sich mit den beiden anderen vereinigt und als Resulta die Transformation der Zeit stattfindet (die im irdischen Sinn innezuhalten scheint), vor das Zeichen hinstellen, das Kreuz schlagen und die magische Formel sprechen: »Komm, unreiner Geh (oder: heiliger Geist, je nach Bedarf), zu dem Zeichen, das du hinterlassen hast, gemäß der Übereinkunft von Gabriel mit den Teufel.« Dabei muss der Bittsteller völlig nackt sein, er darf weder Ringe noch ein Brustkreuz oder irgendwelche anderen Ge genstände am Körper tragen, denn jeder dieser Gegenstände selbst der allerkleinste, wird im Moment der Transformation um ein Vielfaches schwerer und behindert die Bewegung.
Die Formel lässt nicht nur sofort den unachtsamen Geist von dem Bittsteller erscheinen, sie schützt diesen auch vor Gefahr Und wenn der Geist trotzdem Rache nehmen will (das geschieh allerdings nur bei bösen Geistern, während Wassilisk allem Anschein nach in die Kategorie der guten Geister gehört), kann man sich einfach mit den Worten: »Credo, credo, Domine!« vor den Angriff schützen. (Ich nehme an, auch das einfache »Ich glaube ich glaube, Herr!« wird seinen Zweck erfüllen – es geht hier schließlich nicht um den Klang, sondern um den Sinn der Worte.
Ein materielles Zeichen gibt es: das Kreuz auf dem Fenster in der Hütte des Bakenwärters. Nachts ist dort keine Menschenseele, sodass ich mit meiner Nacktheit niemanden schockiere (außerdem kann ich zunächst hineingehen und mich erst dann entkleiden). Die magische Formel habe ich auswendig gelernt, und das Gebet zu behalten, ist auch nicht schwer.
Versuchen wir es, Probieren geht über Studieren. Im schlimmsten Falle mache ich mich zum Narren – aber das ist auch nicht weiter schlimm.
Wenn es nicht gelingt, werde ich weiterforschen, wie man das Unmessbare messbar machen kann.
Heute Nacht werde ich hingehen. Behalten Sie mich nicht in schlechter Erinnerung, Vater. Wenn etwas passiert, mag in Ihren Gebeten wenigstens bisweilen erinnerlich sein
Ihr Sie liebender und verehrender
Aljoscha Lentotschkin
***
Man müsse nach Neu-Ararat fahren, und zwar unverzüglich, verkündete der Bischof sogleich nach der Verlesung des Briefes, ohne seine Ratgeber nach ihrer Meinung zu fragen, als sei das bereits wohl durchdacht und beschlossene Sache. Im Übrigen wussten Berditschewski und Pelagia anscheinend vor Bestürzung ohnehin nicht recht, was sie sagen sollten.
Dafür hatte Mitrofani, während er auf sie wartete, bereits alles durchdacht.
»Der Junge tappt völlig im Nebel«, sagte er. »Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte sein Auge für das Geistige öffnen, doch die Explosion war zu grell und hat ihn geblendet. Wir müssen Aljoscha herausholen, und sei es mit Gewalt, das ist jetzt das Allerwichtigste. Der Wunder von Neu-Ararat werden wir uns später annehmen. Jetzt bedarf es eines Mannes mit militärischer Mentalität: entschlussfreudig, ohne Dünkel, ohne zu viel Fantasie. Du, Matwej, bist dazu nicht geeignet.«
Matwej Benzionowitsch hielt sich zwar keineswegs für einen Mann mit militärischer Mentalität, war aber dennoch leicht gekränkt.
»Und wer soll das sein, Eminenz, dieser Mann ohne Fantasie?«, erkundigte er sich mit einem leicht höhnischen Unterton, überzeugt, der Bischof rede von sich selbst.
Die Antwort war unerwartet.
»Denk nur nicht, ich meine mich selbst. Ich bin Geistlicher, und es könnte sein, dass ich gegenüber mystischen Eindrücken nicht genügend gefeit bin. Wenn schon Lentotschkin nicht standhalten konnte . . .« Mitrofani schüttelte den Kopf, als wundere er sich erneut darüber, auf welch tönernen Füßen Aljoschas Nihilismus stand. »Lagrange wird fahren.«
Diese Wahl war auf den ersten Blick nicht weniger überraschend als die vorherige Entscheidung des Bischofs, in einer innerkirchlichen Angelegenheit einen atheistischen Jüngling zu entsenden.
Das heißt, einerseits mochte der Sawolshsker Polizeimeister Felix Stanislawowitsch Lagrange allein aufgrund seines Amte ein durchaus angemessener Kandidat für die
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