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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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wolle nicht mehr leben. Am Abend setzte er sich in sein Boot, fuhr aufs Wasser hinaus, band sich einen Stein um den Hals und stürzte sich in den See – viele Menschen haben das vom Ufer aus beobachtet. Man suchte nach dem Ertrunkenen, konnte ihn aber nicht finden, sodass der zweite Sarg unbenutzt blieb.
    Die Stadt ist nicht mehr wiederzuerkennen. Das heißt, tagsüber ist sie genauso belebt wie früher, die Pilger haben es nicht eilig mit der Abreise, weil Neugierde und die Lust am Geheimnisvollen stärker sind als Vernunft und Furcht, doch nachts sind die Straßen völlig ausgestorben. Über die Wassilisk-Einsiedelei wird nichts Gutes geredet. Man sagt, kein Ort sei schrecklicher als der, auf dem früher ein Segen lag und der dann vom Übel heimgesucht wurde – sei es eine vernachlässigte Kirche, ein geschändeter Friedhof oder erst recht eine gottgefällige Einsiedelei. Unter den Brüdern und den Bewohnern der Stadt herrscht zunehmend die Meinung, man solle auf den Schutzpatron hören und die Eremiten von der Nachbarinsel fortbringen – andernfalls würde der Schwarze Mönch noch schlimmer zürnen.
    Der Archimandrit ist mit einer Prozession durch ganz Kanaan gezogen und hat die Hütte des Bakenwärters mit Weihwasser besprengt, aber dennoch geht niemand mehr dorthin. Ich bin übrigens dort gewesen (allerdings morgens, bei Sonnenlicht). Ich habe das berüchtigte Kreuz gesehen, das in die Scheibe geritzt ist. Ich habe es sogar berührt.
    Denken Sie nur nicht, Zauberer Merlin, Ihr Ritter hätte es nun endgültig mit der Angst zu tun bekommen. Ich bin bereit, die Auffassung, dass das Universum nicht ausschließlich aus Materie besteht, einer Prüfung zu unterziehen, doch das bedeutet keineswegs die Kapitulation, sondern den Wechsel der Methodik. Anscheinend muss man nur die eine Rüstung ausziehen und eine andere anziehen. Aber ich habe nicht die Absicht, mich zu ergeben, und um Ihre Hilfe bitte ich einstweilen noch nicht.
    Ihr Lancelot vom See
    ***
    Dieser in jeder Hinsicht erstaunliche Brief rief bei den Teilnehmern der Zusammenkunft unterschiedliche Reaktionen hervor.
    »Er will mutig erscheinen, ist aber zu Tode erschrocken«, bemerkte der Bischof. »Ich erinnere mich noch sehr gut, wie schrecklich es ist, wenn die Welt auf den Kopf gestellt wird. Nur war es bei mir umgekehrt: Von Kindheit an hatte ich geglaubt, dass der Geist die Welt beherrscht, und als mich das erste Mal der Verdacht beschlich, es gebe keinen Gott, sondern nur Materie, wurde mir bang und unbehaust zumute. Damals bin ich Mönch geworden, um die Welt wieder zurechtzurücken.«
    »Wie?«, fragte Berditschewski verdutzt. »Sie, Sie hatten solche Zweifel? Und ich nahm immer an, dass . . .«
    Er wurde verlegen und sprach nicht weiter.
    »Dass nur du solche Zweifel hast?«, beendete Mitrofani den Satz mit einem unfrohen Lachen. »Und dass in mir nur Heiligkeit ist? Nein, Matwej, das gibt es nur bei Köpfen, die arm an Verstand sind; einem denkenden Menschen werden schwere Versuchungen zur Prüfung gesandt. Selig ist nicht der, der nie in Versuchung gerät, sondern derjenige, der diese überwindet. Jemand, der niemals und an nichts zweifelt, ist in der Seele tot.«
    »Also glauben Sie an diese Wunder, Vater?«, fragte Schwester Pelagia und unterbrach ihr Stricken. »An die Erscheinung, an das Wandeln auf dem Wasser und so weiter? Früher haben Sie ganz anders gesprochen.«
    »Was meint der Junge nur mit dem Wechsel der Rüstung?«, murmelte der Bischof nachdenklich vor sich hin, als hätte er die Frage nicht gehört. »Ich verstehe das nicht. . . Ach, wie interessant und vieldeutig sind die Wege des Herrn!«
    Pelagia hingegen machte eine Bemerkung psychologischer Natur.
    »Nach dem ersten Brief hatte ich angenommen, Ihr Gesandter habe sich von der verführerischen Dame ablenken lassen und Ihren Auftrag vergessen, was auch die Unterbrechung in der Korrespondenz erklärt hätte. Die Dame wird aber hier nur einmal flüchtig erwähnt. Ich weiß nicht, ob Alexej Stepanowitsch die Wahrheit über die Erscheinung schreibt, doch es ist vollkommen klar, dass der junge Mann tatsächlich eine schwere Erschütterung erlebt hat. Andernfalls hätte er eine so anziehende Person nicht einfach vergessen.«
    »Frauen haben nur eines im Kopf«, bemerkte der Bischof verdrossen und runzelte die Stirn. »Immerzu überschätzt ihr eure Wirkung auf die Männer. Es gibt geheimnisvollere Dinge auf der Welt als romantische Unbekannte mit einem Schleier. Man muss dem Jungen

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