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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Durchführung einer schnellen, entschlossenen Operation sein, aber dies nur wenn man den Hintergrund nicht kannte. Es war nämlich so dass der Herr Oberst vom Bischof als Sünder angesehen wurde und auf dessen Drängen hin noch vor kurzem wegen einiger abenteuerlicher Handlungen beinahe vor Gericht gekommen wäre. Letzthin jedoch war Lagrange so gut wie vergeben worden, und er hatte sogar angefangen, beim Bischof zur Beichte zu gehen. Man muss annehmen, dass hier wieder einmal der bereit; erwähnte Ehrgeiz des Bischofs zum Tragen kam, der weniger daran interessiert war, ein Hirte für lichte Seelen zu sein, als vielmehr an die Seelen der Verstockten und Tauben zu klopfen
    Matwej Benzionowitsch wollte den Mund öffnen, um zu widersprechen, schloss aber seine Lippen sogleich wieder. Ihn war eingefallen, dass die Wahl auf den zweiten Blick gar nicht so schlecht war, weil . . . Doch davon fing der Bischof gerade selbst an:
    »Felix Stanislawowitsch kommt zwar zu mir zur Beichte, doch er macht das so, wie er zum Postenstehen oder zur Wachablösung antritt, als erfülle er die Vorschriften eines Reglements. Er rapportiert mir in allen Einzelheiten, wie oft er Mutterflüche gebraucht und bei welchen unanständigen Frauenzimmern er sich aufgehalten hat, und wenn er die Vergebung der Sünden erhält, klirrt er mit den Sporen, macht rechtsum kehrt und Abmarsch. Er gehört zu jenen seltenen Menschen, denen der Glaube zu überhaupt nichts dient. Übrigens«, lächelte Mitrofani, »wäre der Oberst gewiss sehr gekränkt, wenn ihr jemand einen Materialisten nennen würde, er würde demjenigen wohl eins aufs Maul geben. Er ist ein zuverlässiger Soldat auf sein Polizeigeschäft versteht er sich, und er ist ein tapferer Kerl, wie es nicht viele gibt. Ich lasse ihn morgen rufen und bitte ihn zu fahren – er wird es mir nicht abschlagen.«
    So verfuhr der Bischof dann auch: Er ließ den Polizeimeister rufen und instruierte ihn, worauf es diesem selbstredend nicht in den Sinn kam, sich zu widersetzen – er kam dem Wunsch des Bischofs ebenso widerspruchslos nach, wie er einen Befehl vom Gouverneur oder vom Direktor des Polizeidepartements entgegengenommen hätte. Er versprach, gleich am nächsten Morgen die dienstlichen Angelegenheiten seinem Stellvertreter zu übergeben und sich auf den Weg zu machen.
    Doch noch vor seiner Abreise brachte ein Sonderkurier am Abend einen neuen Brief aus Ararat, der den Bischof, Berditschewski und Pelagia vollkommen erschütterte, auch wenn er gleichzeitig vieles erklärte.
    Aber wozu den Inhalt mit eigenen Worten wiedergeben, da kommt es nur zu Missverständnissen. Hier ist es, dieses Dokument. Wie heißt es so schön – kein Kommentar.
    Ehrwürdige Eminenz,
    ich bin nicht sicher, ob Sie genau derjenige sind, an den dieser Brief zu richten wäre, doch niemand hier kennt den Wohnort oder die Familienverhältnisse des jungen Mannes, der im Hotel »Arche Noah« in Neu-Ararat unter dem N amen Alexej Stepanowitsch Lentotschkin abgestiegen ist. In dem Zimmer, in dem er logierte, wurde auf dem Tisch ein Umschlag mit der Aufschrift »An den Ehrwürdigsten Vater Mitrofani, Bischöfliche Residenz, Sawolshsk« gefunden, und daneben lag ein leeres Blatt Papier, als habe Lentotschkin beabsichtigt, Ihnen einen Brief zu schreiben, sein Vorhaben aber nicht mehr ausführen können. Deshalb wende ich mich auch an Sie, Eminenz, in der Hoffnung, dass Sie diesen Jüngling kennen, seine Verwandten von dem Unglück, das ihn getroffen hat, in Kenntnis setzen und mir eventuell Einzelheiten aus seinem früheren Leben mitteilen können, was für die Wahl der richtigen Heilmethode äußerst wichtig ist.
    Herr Lentotschkin (wenn das sein richtiger Name ist) leidet a) einer extremen Form geistiger Verwirrung, die es nicht zulässt dass man ihn von der Insel wegbringt. Heute bei Morgengrauen suchte er Zuflucht in meiner psychiatrischen Heilanstalt, wobei er sich in einem solch beklagenswerten Zustand befand, dass ich gezwungen war, ihn bei mir zu behalten. Fragen beantwortet er nicht, er murmelt nur fortwährend vor sich hin: »Credo, credo Domine«, und von Zeit zu Zeit hält er wie im Fieberwahn verworrene, sinnlose Monologe. Die Überführung des Kranken an einen anderen Ort ist augenscheinlich nicht zweckmäßig, zudem ist der Charakter seiner Manie für mich als Medicus interessant. Ich nehme an, Sie haben von meiner Klinik gehört, doch möglicherweise wissen Sie nicht, dass ich bei weitem nicht jede geistige Verwirrung

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