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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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behandle, sondern lediglich solche, die von der psychiatrischen Wissenschaft bislang noch nicht hinreichend untersucht sind. Der Fall Lentotschkin ist ein solcher.
    Ich werde Sie nicht mit den traurigen Einzelheiten belasten weil ich nicht ganz sicher bin, dass Sie meinen neuen Patienten kennen. Wenn man die religiöse Thematik seiner (unverständlichen und nahezu zusammenhanglosen) Fieberfantasien bedenkt, könnte man leicht vermuten, dass Lentotschkin die Absicht hatte, dem Bischof des Gouvernements zu schreiben, so wie einige meiner Schützlinge eben Seiner Majestät dem Zaren, den Papst oder dem Kaiser von China schreiben.
    Wenn Sie aber nichtsdestotrotz wissen, wie man sich mit der Verwandten von Lentotschkin in Verbindung setzen kann, dann tun sie dies eilends. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Zustand dieser Kranken, von seltenen Ausnahmen abgesehen, sich sehr rasch verschlechtern und alsbald zum Tode führen kann.
    Ich verbleibe der respektvolle Diener
Eurer Ehrwürdigen Eminenz,
Donat Sawwit sch Korowin, Doktor der Medizin

DIE ZWEITE EXPEDITION
    Abenteuer eines Tapferen
    Im Zusammenhang mit dieser neuen, betrüblichen Wendung der Ereignisse (es ist verwunderlich, dass derart kluge Köpfe sie nicht vorhergesehen haben), kam erneut der Streit auf, wer nach Ararat fahren sollte. Letzten Endes beharrte der Bischof auf seiner bereits getroffenen Entscheidung, und der Polizeimeister wurde nach Neu-Ararat geschickt, obgleich dem ein scharfes Wortgefecht zwischen Vater Mitrofani und Schwester Pelagia vorausging – Matwej Benzionowitsch bewahrte in Bezug auf Lagrange Neutralität und schwieg daher meistenteils.
    Das Wortgefecht entzündete sich am gordischen Knoten. Es begann damit, dass der Bischof Oberst Lagrange mit dem tatkräftigen Alexander verglich, der den tückischen Knoten, als er ihn nicht lösen konnte, einfach mit einem Schwert durchhieb und so die schwierige Situation hervorragend meisterte. Genauso würde nach Meinung des Bischofs auch Lagrange handeln, der als Soldat angesichts einer verzwickten Aufgabe nicht passen, sondern diese frontal angehen würde, was sich in einer so ungewöhnlichen Angelegenheit als das wirksamste Mittel heraussteilen mochte.
    »Überhaupt scheint mir«, bemerkte der Bischof, »je komplizierter und verwirrender die Lage, desto einfacher ist der Ausweg.«
    »Da täuschen Sie sich aber, Vater!«, rief Pelagia in höchster Aufregung. »Welche gefährlichen Worte Sie da aussprechen! Wenn Sie, der weiseste und gütigste Mensch, den ich kenne, dieser Meinung sind, was soll man da von den irdischen Führern erwarten, die ohnehin bei der kleinsten Schwierigkeit geneigt sind, zum Schwert zu greifen? Den gordischen Knoten mit einem Hieb zu zerteilen ist kein großes Verdienst, das könnte jeder Narr. Aber nach Alexanders Heldentat gab es ein Wunder weniger auf der Welt!«
    Mitrofani wollte widersprechen, aber die Nonne wehrte mit den Händen ab, woraufhin der Seelenhirte seine geistliche Tochter verwundert anstarrte, denn noch nie hatte er ihrerseits eine solche Respektlosigkeit erlebt.
    »Es gibt keine einfachen Auswege aus schwierigen Situationen! Begreifen Sie das doch!«, ereiferte sich die Nonne. »Ihre Soldaten können nur immer alles zerstören und verderben! Wo Takt, Vorsicht und Geduld vonnöten wären, kommen sie mit ihren Stiefeln, Säbeln und Kanonen und richten ein solches Chaos an, dass man nachher lange damit zu tun hat, alles wieder heil zu machen, zu flicken und auszubessern.«
    Der Bischof fragte verwundert:
    »Was denn, braucht man deiner Meinung nach überhaupt keine Soldaten?«
    »Aber sicher doch! Wenn der Gegner einfällt und das Vaterland verteidigt werden muss, sind Soldaten notwendig. Etwas anderes aber darf man ihnen nicht anvertrauen! Keine zivilen und erst recht keine geistlichen Angelegenheiten! Doch bei uns in Russland wird Soldaten ja alles Mögliche aufgetragen! Um in einem diffizilen Mechanismus etwas in Ordnung zu bringen, ist der Säbel ein ungeeignetes Instrument. Und Ihren Oberst nach Ararat zu schicken, das heißt, einen Elefanten in einen Porzellanladen zu stecken!«
    »Na und?« Mitrofani, der sich für den militärischen Stand gekränkt fühlte, schnitt ihr das Wort ab. »Hannibal hat mit seinen Elefanten die Alpen überquert! Ja, Felix Stanislawowitsch wird keine besondere Nachsicht üben. Er wird die Inseln auf den Kopf stellen, aber er wird den Übeltäter ergreifen, der Aljoscha ins Irrenhaus gebracht hat! Gespenst oder nicht, Lagrange

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