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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ist das einerlei. Und damit Schluss. Geh jetzt, Pelagia. Mein Entschluss steht fest.«
    Er wandte sich ab und segnete die Nonne nicht einmal zum Abschied, so erbost war er.
    ***
    Auf dem Oberdeck des Raddampfers »Heiliger Wassilisk«, dessen Schaufeln geschäftig das dunkle Wasser des Blauen Sees durchpflügten, stand ein stattlicher, wohl gebauter Herr in einem karierten Dreiteiler, weißen Gamaschen und englischer Schirmmütze mit Ohrenklappen, der interessiert sein Spiegelbild in der Fensterscheibe einer Kabine betrachtete. Das Panorama der vom Abendnebel überzogenen Bucht und der blinkenden Lichter von Sineosjorsk reizte den Passagier nicht, er wandte dieser poetischen Landschaft den Rücken zu. Er drehte sich hin und her, um zu prüfen, ob sein Jackett gut saß, strich über seinen vortrefflich gezwirbelten Schnurrbart und war zufrieden. Selbstredend wäre eine blaue, goldbetresste Uniform hundertmal besser, überlegte er, doch ein richtiger Mann bietet auch in Zivil keinen üblen Anblick.
    Er konnte sich nicht weiter bewundern, weil in der Kabine das Licht eingeschaltet wurde. Zunächst durchschnitt ein schmaler Streifen die Dunkelheit, der sich schnell zu einem hellen Rechteck vergrößerte, in dem sich eine Silhouette abzeichnete; dann verschwand das Rechteck (die Tür zum Gang war geschlossen worden), und in der nächsten Sekunde flammte die Gaslampe auf. Eine anziehende junge Dame nahm die Hand vom Schalter, setzte den Hut ab und betrachtete sich zerstreut im Spiegel.
    Der schnurrbärtige Passagier dachte gar nicht daran, sich zu entfernen – im Gegenteil, er trat noch näher an die Fensterscheibe heran und musterte die schlanke Gestalt der Dame mit aufmerksamem Kennerblick.
    Da wandte die Bewohnerin der Kabine sich schließlich zum Fenster, und als sie den hereinspähenden Herrn bemerkte, flogen ihre Augenbrauen in die Höhe, und ihre Lippen bewegten sich – man muss annehmen, dass sie »Ach!« oder etwas in der Art ausrief.
    Der gut aussehende Mann war keineswegs verlegen, sondern zog galant seine Schirmmütze und verbeugte sich. Die Dame bewegte erneut lautlos die Lippen, dieses Mal länger, und die Bedeutung der von außen nicht zu hörenden Worte ließ sich wiederum ohne Schwierigkeit erraten: »Was wünschen Sie, mein Herr?«
    Anstatt zu antworten oder sich zu entfernen, klopfte der Passagier mit dem Fingerknöchel fordernd an die Scheibe. Als die Reisende, neugierig geworden, das Fenster ein wenig öffnete, sagte der Herr mit klarer, wohlklingender Stimme:
    »Felix Stanislawowitsch Lagrange. Verzeihen Sie meine Direktheit, Madame, ich bin Soldat, aber bei Ihrem Anblick hatte ich plötzlich das Gefühl, als sei außer uns beiden niemand mehr auf diesem Schiff. Nur Sie und ich, und weiter keine Menschenseele. Ist das nicht eigenartig?«
    Die Dame errötete und wollte schweigend das Fenster schließen, doch nach einem näheren Blick auf das angenehme Gesicht des Soldaten und besonders auf seine runden, höchst erwartungsvollen Augen schien sie es sich unversehens anders zu überlegen, und der Moment, Unbeugsamkeit zu zeigen, war verpasst.
    Bald darauf saßen der Oberst und seine neue Bekannte im Salon bei den Pilgern (alles ausnehmend schickliche Leute), wo sie Bowle tranken und plauderten.
    Eigentlich redete vor allem Natalja Henrichowna (so hieß die Dame), während der Polizeimeister den Mund praktisch nicht aufmachte, weil das im Frühstadium einer Bekanntschaft überflüssig ist – er zeigte lediglich ein rätselhaftes Lächeln in seinem parfümierten Schnurrbart und warf seiner Gesprächspartnerin schmachtende Blicke zu.
    Die sanft errötete Dame, Gattin eines Petersburger Zeitungsverlegers, erzählte, sie sei erschöpft vom hektischen Leben der Hauptstadt und habe beschlossen, ihre Seele zu reinigen, weshalb sie nun unterwegs sei zur heiligen Insel.
    »Wissen Sie, Felix Stanislawowitsch, im Leben kommt plötzlich der Moment, da man spürt, dass es so nicht weitergehen kann«, gestand Natalja Henrichowna. »Dann muss man innehalten, sich umsehen, der Stille lauschen und erkennen, was für einen selbst das Wichtigste ist. Daher bin ich allein unterwegs – um zu schweigen und zu lauschen. Und um den Herrn um Verzeihung zu bitten für alle gewollten und ungewollten Verfehlungen. Verstehen Sie mich?«
    Der Oberst hob viel sagend die Augenbrauen: O ja!
    Eine Stunde später machten sie einen Spaziergang an Deck, und Lagrange, der seine Gefährtin vor dem kühlen Wind schützte, verringerte die

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