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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Nun gut, gehen wir. Sie werden nichts aus ihm herausbekommen, ebenso wenig wie Ihr Vorgänger.«
    In Korowins Kabinett zurückgekehrt, sprachen sie nicht mehr über den unglücklichen Alexej Stepanowitsch, sondern über Berditschewskis »Vorgänger«, also über den verstorbenen Lagrange.
    »Von Berufs wegen müsste ich eigentlich ein guter Physiognom sein«, sagte Donat Sawwitsch, wobei er bald auf Berditschewski, bald aus dem Fenster blickte. »Und ich täusche mich nur sehr, sehr selten in einem Menschen. Doch ich muss zugeben, Ihr Polizeimeister hat mich mit seinem Unfug in Verlegenheit gebracht. Ich hätte mich mit Gewissheit dafür verbürgt, dass er ein ausgeglichener Typ mit ausgeprägter Selbstachtung und primitiv-sachlicher Weltanschauung ist. Diese Typen neigen weder zum Suizid noch zu psychotraumatischen Geistes-Verwirrungen. Wenn sie Selbstmord begehen, dann vielleicht aus einer vollkommen ausweglosen Lage heraus – aus Angst vor einer schmachvollen gerichtlichen Untersuchung etwa, oder wenn ihnen durch eine verschleppte Syphilis die Nase einfällt und sie ihre Sehkraft verlieren. Wenn Menschen wie er den Verstand verlieren, dann aus ganz banalen, langweiligen Gründen: Der Vorgesetzte hat sie im Dienst übergangen, oder der Lotteriegewinn ist auf die nächstfolgende Losnummer gefallen – es gab mal so einen Fall mit einem Dragonerhauptmann. Jemanden wie Ihren Lagrange würde ich nie als Patienten annehmen. Uninteressant.«
    Wie von selbst, ohne besondere Anstrengung der beiden Gesprächspartner, ergab es sich, dass die anfängliche gegenseitige Wachsamkeit, ja sogar Bissigkeit verflog, und einem Gespräch zwischen zwei klugen, einander respektierenden Männern Platz machte.
    Matwej Benzionowitsch trat zum Fenster und betrachtete die schmucken Häuschen, in denen Korowins Schützlinge lebten.
    »Der Unterhalt der Kranken kostet Sie wahrscheinlich eine große Summe?«
    »Beinahe eine Viertelmillion im Jahr. Wenn man das durch achtundzwanzig teilt (so viele Patienten habe ich derzeit), entfallen auf jeden ungefähr achttausend, obwohl die Ausgaben natürlich sehr unterschiedlich hoch sind. Lentotschkin kostet mich beinahe nichts. Er lebt wie die Vöglein am Himmel. Und bald wird er davonfliegen, fürchte ich, › in den Himmel‹« Der Doktor lächelte traurig.
    Erschüttert von dieser unglaublichen Zahl, rief Berditschewski aus:
    »Achttausend! Aber das ist. . .«
    »Wahnsinn, wollen Sie sagen?«, lächelte Donat Sawwitsch. »Eher die Laune eines Millionärs. Andere geben ihr Geld für Luxusgegenstände oder für Kokotten aus, und ich habe eben meine eigene Vorliebe. Das ist keine Philanthropie, denn ich tue das nicht der Menschheit zuliebe, sondern zu meinem eigenen Vergnügen. Aber auch für wohltätige Zwecke gebe ich nicht wenig Geld aus, denn von allen irdischen Gütern schätze ich mein eigenes Gewissen am höchsten, und ich will es vor Qualen bewahren.«
    »Aber meinen Sie nicht, man könnte Ihre Viertelmillion für eine viel größere Anzahl von Menschen nutzbringend ausgeben?« Matwej Benzionowitsch konnte sich die Spitze nicht verkneifen.
    Der Arzt lächelte wieder, noch gutmütiger.
    »Sie meinen für die Hungernden und die Obdachlosen? Nun, auch sie vergesse ich selbstverständlich nicht. Die Einkünfte aus meinem ererbten Vermögen belaufen sich auf eine halbe Million im Jahr. Genau die Hälfte gebe ich wohltätigen Gesellschaften als freiwillige Vermögenssteuer oder, wenn Sie so wollen, als Abzahlung für mein reines Gewissen, dafür verfahre ich mit dem Rest des Geldes nach meinem eigenen Gutdünken. Ich genieße foie gras ohne jedes Schuldgefühl, und wenn ich den Doktor spielen will, dann mache ich das. Und bin dabei vollkommen mit mir im Reinen. Wäre Ihnen die Hälfte Ihrer Einkünfte im Tausch gegen einen tiefen Schlaf, einen gesunden Appetit und Seelenfrieden etwa zu schade?«
    Matwej Benzionowitsch breitete nur die Arme aus, weil er sich schwer tat, auf diese Frage zu antworten. Er konnte doch einem Millionär nicht von seinen zwölf Kindern und der Abzahlung des Bankdarlehens für das Häuschen mit Garten erzählen.
    »Für mich persönlich gebe ich wahrhaftig nur eine Kleinigkeit aus, etwa zwanzig – oder dreißigtausend«, fuhr Korowin fort. »Alles Übrige wird für mein Steckenpferd ausgegeben. Jeder meiner Patienten ist ein echter Schatz. Sie alle sind ungewöhnlich, haben Talent, über jeden von ihnen könnte man eine Dissertation schreiben oder auch ein Buch. Ich sagte

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