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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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habe versucht zu beten, aber die Anwandlung ist leider vorbei. Ich habe mir den Archimandriten angesehen. Außerdem fahre ich mit dem Kutter im Archipel umher . . .« Polina Andrejewna breitete die Arme aus. »Und ich fahre erst in vier Tagen zurück.«
    Die Aufrichtigkeit der schönen jungen Dame verärgerte Korowin nicht, sondern erheiterte ihn eher.
    »Ich bin also eine Art Sehenswürdigkeit für Sie?«, fragte er und lächelte jetzt richtig und nicht nur mit halber Kraft.
    »Nein, nein, wo denken Sie hin!«, erschrak die leichtsinnige Besucherin, die aber ihr Lachen auch nicht mehr unterdrücken konnte. »Das heißt, höchstens im allerehrerbietigsten Sinne. Nein, wahrhaftig, man hat mir über Sie wahre Wunderdinge berichtet! Es wäre eine Sünde gewesen, mir die Gelegenheit entgehen zu lassen!«
    Nachdem sie ihren Gesprächspartner durch ihre Offenheit für sich eingenommen hatte, führte Polina die Unterhaltung gemäß der Regeln für den richtigen Umgang mit Männern. Regel Nummer eins lautete: Wenn du einem Mann gefallen willst, schmeichle ihm. Je klüger und einfühlsamer der Mann ist, desto klüger und einfühlsamer muss man schmeicheln. Je ungeschliffener der Mann, desto ungeschliffener die Lobsprüche. Da Doktor Korowin offenkundig nicht zu den Dummköpfen gehörte, ging Polina Andrejewna daran, sich der Sache auf Umwegen zu nähern.
    Unvermittelt wurde sie ernst und erklärte:
    »Sie interessieren mich sehr. Ich möchte verstehen, was für ein Mensch Sie sind. Warum verschleudert der Erbe der Korowinschen Millionen die besten Jahre seines Lebens und gewaltige Mittel für die Heilung von Geisteskranken? Sagen Sie, wieso haben Sie beschlossen, sich mit der Psychiatrie zu beschäftigen? Aus Übersättigung? Aus leerer Neugierde und Verachtung gegenüber den Menschen? Aus dem Wunsch heraus, mit kühlen Händen in der menschlichen Seele zu wühlen? Wenn ja, dann ist das interessant. Doch ich hege den Verdacht, dass es noch einen gewichtigeren Grund gibt. Ich sehe Ihrem Gesicht an, dass Sie nicht übersättigt sind . . . Sie haben lebhafte, feurige Augen. Oder täuschte ich mich, und es ist nur die Neugierde, die da aus ihnen leuchtet?«
    Geben Sie einem Mann zu verstehen, dass er Sie maßlos interessiert, dass nur Sie allein sehen, wie einzigartig und unvergleichlich er ist, wobei es nicht so wichtig ist, ob im guten oder im schlechten Sinn – das ist im Grunde der Sinn der ersten Regel. Zugegebenermaßen musste Polina Andrejewna nicht sonderlich heucheln, weil sie aufrichtig davon überzeugt war, dass jeder Mensch, wenn man ihn nur gebührend betrachtete, in seiner Art einzigartig und schon deshalb interessant war. Umso mehr galt das für einen so ungewöhnlichen Herrn wie Donat Sawwitsch Korowin.
    Der Doktor musterte die Besucherin forschend, als wolle er sich auf die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, einstellen. Dann begann er leise und in vertraulichem Ton:
    »Nein, ich habe mich nicht aus Neugier der Psychiatrie zugewandt. Eher aus Verzweiflung. Interessiert Sie das wahrhaftig?«
    »Sehr!«
    »Ich bin aus jugendlichem Narzissmus an die medizinische Fakultät gegangen. Zu Anfang habe ich nicht in der psychiatrischen, sondern in der physiologischen Abteilung studiert. Mit neunzehn Jahren hielt ich mich für einen Günstling Fortunas, für einen glücklichen Prinzen, der alles hatte, was ein Sterblicher besitzen kann, und ich wollte nur eines: das Geheimnis des ewigen oder wenigstens des sehr langen Lebens finden. Unter reichen Leuten ist das eine ziemlich verbreitete Art von Manie – ich habe jetzt auch einen Patienten, dessen Narzissmus pathologische Formen angenommen hat. Was nun mich selbst angeht, so habe ich vor zwanzig Jahren davon geträumt, meinen Organismus so gut zu verstehen, dass ich eine möglichst lange Funktionsdauer würde sicherstellen können . . .«
    »Was hat Sie von diesem Weg abgebracht?«, rief die Lissizyna aus, als eine kleine Pause in der Rede des Doktors eintrat.
    »Das, was übermäßig rationale junge Männer wahrscheinlich immer von ihrer vorausberechneten Bahn abbringt.«
    »Die Liebe?«, erriet Polina Andrejewna.
    »Ja. Eine leidenschaftliche, unüberlegte, alles umfassende Liebe – also eine Liebe, wie sie sein muss.«
    »Wurde Ihr Gefühl nicht erwidert?«
    »O doch, ich wurde ebenso leidenschaftlich geliebt wie ich selbst liebte.«
    »Warum sprechen Sie mit solchem Kummer darüber?«
    »Weil es die traurigste und ungewöhnlichste Liebesgeschichte ist, die ich

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