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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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kenne. Wir fühlten uns unwiderstehlich voneinander angezogen, doch wir konnten uns nicht eine Minute lang in den Armen halten. Sobald ich mich dem Gegenstand meiner Anbetung auf Armlänge näherte, wurde sie krank: Tränen stürzten ihr aus den Augen, die Nase lief, die Haut bedeckte sich mit rotem Ausschlag, eine unerträgliche Migräne presste ihr die Schläfen zusammen. Sobald ich mich zurückzog, verschwanden die Krankheitssymptome fast augenblicklich. Wenn ich nicht Student der Medizin gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich einen bösen Zauber vermutet, doch im zweiten Studienjahr wusste ich bereits von der rätselhaften, unerbittlichen Krankheit mit dem Namen idiosynkratische Allergie. In vielen Fällen kann man nicht sagen, woher sie kommt, und noch weniger, wie man sie heilen kann.« Donat Sawwitsch schlug die Augen nieder und schüttelte lächelnd den Kopf, als wundere er sich darüber, dass ausgerechnet ihm so etwas geschehen konnte. »Wir haben unbeschreiblich gelitten. Die mächtige Kraft der Liebe zog uns zueinander hin, aber meine Berührungen brachten meiner Angebeteten nur Unheil . . . Ich las alles, was die Medizin über Idiosynkrasie weiß, und ich verstand: Die Wissenschaften der Chemie und der Biologie waren noch zu wenig erforscht, und im Verlauf meines irdischen Daseins würden sie nicht genügend Fortschritte machen, um diesen Mechanismus der physiologischen Ablehnung eines Organismus durch einen anderen zu überwinden. Damals beschloss ich, zur Psychiatrie zu wechseln, um mich mit der Erforschung der menschlichen Seele zu beschäftigen. Auch mit meiner eigenen Seele, die mir einen so üblen Streich gespielt und mich von allen Frauen auf der Welt ausgerechnet diejenige hatte lieb gewinnen lassen, die für mich offenkundig unerreichbar war.«
    »Und Sie haben sich getrennt?«, rief Polina Andrejewna, die von der Erzählung selbst sowie von dem zurückhaltenden Ton beinahe zu Tränen gerührt war.
    »Ja. Es war meine Entscheidung. Nach einiger Zeit hat sie geheiratet. Ich hoffe, sie ist glücklich. Ich hingegen bin, wie Sie sehen, ledig geblieben und lebe nur für meine Arbeit.«
    Ungeachtet ihrer raschen Auffassungsgabe hatte Frau Lissi-zyna nicht sogleich erraten, dass der schlaue Doktor mit ihr ebenfalls ein Spiel spielte – nur kein weibliches, sondern ein männliches Spiel, das gleichfalls uralt und unerschütterlich in seinen Regeln war. Eine zuverlässige Methode, Zugang zum Herzen einer Frau zu erlangen, ist es, ihren Sinn für Rivalität zu wecken. Am besten erzählt man eine romantische Geschichte über sich, die unbedingt ein trauriges Ende haben muss, und beweist damit gewissermaßen: Sehen Sie, zu welcher Gefühlstiefe ich früher fähig war und vielleicht auch heute noch fähig wäre, wenn sich ein würdiges Objekt fände.
    Als Polina Andrejewna das Manöver durchschaute, zollte sie ihm Anerkennung, und sie musste innerlich lachen. Eine originelle Geschichte, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprach. Zudem war aus dem ganzen Monolog zu schließen, dass die Besucherin dem Doktor gefiel, und das war zweifellos schmeichelhaft, aber auch der Angelegenheit dienlich.
    »Also ist Ihnen Ihre Arbeit teuer?«, erkundigte die Lissizyna sich Anteil nehmend.
    »Sehr sogar. Meine Patienten sind ungewöhnliche Menschen, jeder ist auf seine Art ein Unikum. Und Einzigartigkeit ist eine Art von Talent.«
    »Welche Talente haben denn Ihre Patienten? Ach bitte, erzählen Sie!«
    Die runden Augen der rothaarigen Besucherin weiteten sich noch mehr in erwartungsvoller Vorfreude. An dieser Stelle kam Regel Nummer zwei zur Anwendung: den Mann auf ein Thema lenken, das ihn mehr als alles andere interessiert, um dann richtig zuzuhören. Wie viele männliche Herzen wurden mithilfe dieser einfachen Methode bereits erobert! Wie viele dumme Trinen, wie viele Bräute ohne Mitgift haben einen Freier gefunden, dass ringsum alle nur noch Bauklötze staunen konnten – wie haben sie es nur angestellt, dass sie so ein unverdientes Glück haben? Ganz einfach: Sie können zuhören.
    Wenn Polina Andrejewna etwas konnte, dann zuhören. Wo es nötig war, zog sie die Augenbrauen hoch, von Zeit zu Zeit seufzte sie und griff sich auch einmal an die Brust, aber ohne auch nur im Geringsten zu übertreiben, und vor allem ohne jegliche Heuchelei, sondern mit vollkommen unverfälschtem Interesse.
    Donat Sawwitsch schien zunächst ungern zu erzählen, doch angesichts der Tatsache, dass man ihm so vorbildlich zuhörte,

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