Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
unterdessen bei einem prächtigen zweistöckigen Blockhaus im Alpenstil angelangt, das mit einer breiten Treppe und einem gemeißelten Schornstein auf dem sanft abfallenden Dach versehen war.
    An der Tür gab es weder einen Klopfer noch eine Klingel oder eine Glocke. Seltsamer aber noch erschien Polina Andrejewna, dass keine Türklinke vorhanden war – ihr war unklar, wie man eine solche Tür öffnen sollte.
    Der Doktor erklärte es ihr:
    »Sergej Nikolajewitsch lebt nach dem Prinzip: › Ich brauche keine Fremden, ich freue mich immer über Freunde.‹ Das heißt, ein Fremder kann klopfen, solange er will, und kommt nicht hinein, aber die Freunde, die das Geheimnis kennen, können einfach so, ohne Voranmeldung, eintreten.«
    Er drückte an der Seite auf einen unauffälligen Knopf, und die Tür sprang federnd auf.
    »Das ist ja entzückend!«, rief Frau Lissizyna begeistert aus, als sie das Vorzimmer betrat.
    »Linker Hand befindet sich der Eingang ins Schlafzimmer, rechter Hand der zum Laboratorium. Die Treppe führt in den ersten Stock, dort ist das Observatorium, wo das Opfer der mysteriösen Vorgänge, Herr Berditschewski, sich zeitweilig niedergelassen hat. Wir müssen also nach rechts.«
    Die Beleuchtung im Laboratorium war ungewöhnlich: An der Wand über einem Tisch, der mit allerlei komplizierten Instrumenten unbekannten Verwendungszwecks übersät war, brannte ein grelles elektrisches Licht, doch der längliche, metallene Lampenschirm verhinderte, dass das Licht gestreut wurde, sodass alle anderen Ecken des recht geräumigen Laboratoriums im dichten Schatten versanken.
    Im Raum herrschte eine Unordnung, die kaum zufällig entstanden war, sondern absichtlich herbeigeführt sein musste. Am Boden lagen Bücher, eine Sanduhr, Papierfetzen, einige sorgsam ausgehobene, quadratische Rasenplatten, irgendwelche Steine. Der Physiker selbst, ein kleines Männchen mit zottigem Haar, saß bei der Lampe auf einem Stuhl. Der einzige Sessel war mit einem großen Haufen Lumpen belegt, sodass die Ankömmlinge sich nirgendwo niederlassen konnten.
    »Ja, ja«, sagte Ljampe anstelle einer Begrüßung. »Wozu?«
    Er blickte die unbekannte Dame an und runzelte die Stirn. Dann wiederholte er:
    »Wozu?«
    Korowin führte seine Begleiterin näher heran.
    »Frau Lissizyna hier hat den Wunsch geäußert, Sie kennen zu lernen. Sie möchte das Spektrum ihrer Emanation erfahren. Schauen Sie sie doch einmal durch Ihre bemerkenswerte Brille an. Wie finden Sie die orangerote Strahlung?«
    Der Physiker brummte undeutlich, aber offenkundig verärgert vor sich hin:
    »Sie haben keine. Nur aus dem Schoß. Reproduktionsautomaten. Kein Gehirn. Himbeerrote, himbeerrote, himbeerrote. Alles Gehirn ist nur einer zuteil geworden, Mascha.«
    »Mascha? Welche Mascha?«, fragte Polina Andrejewna, die gespannt zugehört hatte.
    Ljampe winkte ab, ohne sie zu beachten, und sprang auf Korowin zu:
    »Orange kommt später. Nicht zu denen. Emanation des Todes, das habe ich gesagt. Mascha und Toto! Nur schlimmer! Tausendmal! Ach, warum denn, warum!«
    »Ja, ja.« Donat Sawwitsch nickte ihm freundlich zu wie einem Kind. »Ihre neue Emanation. Ich würde gern wissen, was Ihnen an der vorherigen nicht gepasst hat? Wenigstens haben Sie sich nicht so aufgeregt. Sie haben mir schon von der Emanation des Todes erzählt, ich erinnere mich. Ich hoffe, Sie erinnern sich auch noch, wie das damals ausging.«
    Das Männchen verstummte sofort, wich jäh vor dem Doktor zurück, sprang zur Seite und presste die Hand auf den Mund.
    »Na sehen Sie, so ist es besser«, sagte Korowin. »Wie laufen die Versuche mit Ihrem getreuen Sancho Pansa? Wo ist er übrigens? Oben?«
    Polina Andrejewna begriff, dass es um Berditschewski ging, und hielt den Atem an.
    »Ich bin hier«, erklang aus dem Halbdunkel die ihr wohl bekannte, nur seltsam träge Stimme von Matwej Benzionowitsch.
    Das, was die Lissizyna für einen nachlässig auf den Sessel geworfenen Haufen alter Lumpen gehalten hatte, bewegte sich und sprach weiter:
    »Guten Tag, gnädiger Herr. Guten Tag, gnädige Frau. Können Sie mir verzeihen, dass ich Sie nicht früher begrüßt habe? Ich dachte nicht, dass meine bescheidene Anwesenheit für irgendjemanden Bedeutung haben könnte. Sie, gnädiger Herr, sagten › Sancho Pansa‹. Das ist aus einem Roman des spanischen Schriftstellers Miguel Cervantes. Sie meinten mich damit. Um Christi willen, verzeihen Sie, dass ich nicht aufstehe. Ich habe überhaupt keine Kraft. Ich weiß, wie

Weitere Kostenlose Bücher