Pelagia und der schwarze Moench
Wer hat Ihnen von ihm erzählt? Sie reden doch mit niemandem außer mit mir. Woher wissen Sie von ihm?«
Ohne sich umzudrehen, brummte Jessichin:
»Ich weiß nur, was meine Augen sehen.«
Er tippte kurz mit dem kleinen Pinsel an die schwarze Gestalt und Polina Andrejewna schien es, diese schwanke leicht, als könne sie im Wind ihr Gleichgewicht kaum halten.
»Neue Patienten?« Die Besucherin warf Korowin von der Seite her einen Blick zu. »Wohl auch interessante?«
»Ja, aber sehr schwere Fälle. Besonders einer, ein richtiger Junge noch. Er hockt im Palmenhaus, nackt wie der Urvater Adam, daher wage ich nicht, ihn Ihnen zu zeigen. Schnell fortschreitende traumatische Idiotie – er siecht vor unseren Augen dahin. Er lässt niemanden in seine Nähe, nimmt keine Nahrung von den Pflegern an. Er isst, was auf den Bäumen wächst, aber wie lange kann man von Bananen und Ananas leben? Noch eine Woche, im höchsten Falle zwei, und er stirbt – wenn ich keine Heilmethode finde. Aber leider ist mir das bis jetzt nicht gelungen.«
»Und der Zweite?«, fragte die neugierige Dame. »Ebenfalls Idiotie?«
»Nein, Entropose. Eine sehr seltene Erkrankung, die dem Autismus sehr nahe kommt, aber nicht angeboren, sondern erworben ist. Eine Heilmethode hat die Wissenschaft bislang noch nicht. Dabei war er ein ausgesprochen kluger Mann, ich habe ihn kennen gelernt, als er noch bei vollem Verstand war . . . Aber leider ist er innerhalb eines Tages – besser gesagt in einer Nacht – zum Wrack geworden.«
Heiß! Ach, wie glücklich sich alles fügte!
Frau Lissizyna seufzte:
»In einer Nacht? Was ist ihm denn nur zugestoßen?«
Der arme Tropf Berditschewski
»Der Mann wurde Opfer einer Halluzination, die durch vorhergehende Ereignisse sowie durch eine allgemeine krankhafte Anfälligkeit seiner Natur ausgelöst wurde und einen Schock hervorrief. In der ersten Zeit hat der Patient viel und leidenschaftlich geredet, daher ist mir die Natur der Erscheinung mehr oder weniger klar. Berditschewski (so heißt dieser Mann) ging aus irgendeinem Grunde mitten in der Nacht in ein verlassenes Haus, in dem kürzlich ein Unglück passiert ist. Auf sehr empfindsame Menschen üben solche Orte eine ganz besondere Wirkung aus. Ich werde Ihnen nicht alle fantastischen Einzelheiten wiedergeben, die man von diesem Haus erzählt, sie sind nicht so wichtig. Doch Berditschewskis Halluzination ist überaus typisch: Ihm erschien Wassilisk, und danach sah er sich lebendig in einen zugenagelten Sarg gelegt. Ein klassischer Fall von Überlagerung einer thanatophoben Depression durch eine präpubertäre mystische Psychose, die selbst bei sehr gebildeten Leuten stark verbreitet ist. Auslöser für das Wahngebilde waren vermutlich irgendwelche realen Ereignisse. Dort in der Hütte stand wirklich ein Sarg auf dem Tisch, den der frühere Bewohner des Hauses für sich gezimmert hatte, der aber nicht benutzt worden war. Das Zusammenspiel von Dunkelheit, Knarren, Schattenspiel und diesem schockierenden Gegenstand – all das führte bei Berditschewski zu einem Raptus.«
Frau Lissizyna lauschte dieser klugen, mit wunderlichen Termini gespickten Lektion mit größter Aufmerksamkeit. Der Künstler hingegen mühte sich weiterhin an seiner Leinwand ab und bekundete nicht das geringste Interesse an der Erzählung, ja, er schien sie kaum zu hören.
»Wie bitte, er sah in dem dunklen Zimmer einen leeren Sarg und ist auf der Stelle übergeschnappt?«, fragte Polina Andrejewna ungläubig.
»Schwer zu sagen, was dort tatsächlich geschehen ist. Ohne jeden Zweifel hat Berditschewski etwas Ähnliches wie einen epileptischen Anfall gehabt. Er muss wohl über den Boden gerollt sein und sich an irgendwelchen Ecken und Gerätschaften gestoßen und in Krämpfen gewunden haben. Seine Hände waren verschrammt, die Nägel abgebrochen und die Finger voller Splitter, am Hinterkopf hatte er eine Beule, die Bänder am linken Sprunggelenk waren überdehnt, und er hatte sich eingenässt, was ebenfalls typisch ist für einen epileptischen Anfall.«
Die Zuhörerin konnte ihre Erregung nicht verbergen und bat:
»Lassen Sie uns an die frische Luft gehen. Diese Wände erdrücken mich . . .«
»Also ist dieser Unglückliche vollkommen verrückt?«, fragte sie leise beim Hinausgehen.
»Wer, der Künstler?«
»Nein, Berditschewski.«
Donat Sawwitsch breitete die Arme aus:
»Sehen Sie, bei einer Entropose zieht sich der Mensch Tag für Tag mehr in sich zurück, er reagiert mit der Zeit
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