Pelagia und der schwarze Moench
Lächeln zu, das aber nicht erwidert wurde.
»Andre, ich habe Sie tausendmal gebeten, mir nicht immer meinen scheußlichen Familiennamen ins Gedächtnis zu rufen!«, rief Frau Borejko mit einer Stimme, die ein Mann wahrscheinlich als klingend beschrieben hätte, wohingegen Frau Lissizyna sie als unangenehm schrill empfand.
»Was ist denn Scheußliches an dem Namen Borejko?« fragte Polina Andrejewna mit einem noch zuvorkommenderen Lächeln, und als wolle sie ausprobieren, wie es klang, wiederholte sie: »Borejko, Borejko . . . Ein ganz gewöhnlicher Name.«
»Das ist es ja gerade«, erklärte der Doktor mit ernsthafter Miene. »Wir können alles* Gewöhnliche nicht ertragen, es ist vulgär. Lidia Jewgenjewna – das hört sich melodisch an, vornehm. Sagen Sie«, wandte er sich an die Dunkelhaarige, immer noch mit derselben respektvollen Miene, »warum tragen Sie immer Schwarz? Tragen Sie Trauer um Ihr Leben?«
Polina Andrejewna fing an zu lachen und wusste Korowins Belesenheit zu würdigen, Lidia Jewgenjewna jedoch erkannte das aus einem modernen Theaterstück stammende Zitat anscheinend nicht.
»Ich trauere darum, dass es auf der Welt keine echte Liebe mehr gibt«, erwiderte sie düster, während sie sich zu Tisch setzte.
Die Mahlzeit war in der Tat köstlich, der Doktor hatte nicht zu viel versprochen. Polina Andrejewna, die den ganzen Tag nichts gegessen hatte, würdigte die Tartelettes mit fein geschnittenen Artischocken ebenso nach Gebühr wie die Pastetchen mit Kalbsherz oder die winzigen canapés royaux – wie von Zauberhand leerte sich ihr Teller, um von neuem mit Speisen gefüllt zu werden und alsbald wieder leer vor ihr zu stehen.
In einem aber hatte Korowin sich getäuscht: Die Frauen fanden offenkundig kein Gefallen aneinander.
Besonders deutlich war das Lidia Jewgenjewnas Verhalten zu entnehmen. Sie nippte kaum an dem moussierenden Wein, rührte die Speisen überhaupt nicht an und betrachtete ihr Visavis mit unverhüllter Abneigung. In ihrer normalen Rolle als Nonne hätte Polina Andrejewna gewiss ein Mittel gefunden, um das Herz der feindseligen jungen Dame mit wahrhaft christlicher Demut zu rühren, doch die Rolle einer Dame der Gesellschaft rechtfertigte ein ganz anderes Benehmen.
Es zeigte sich, dass Frau Lissizyna die britische Kunst des looking down vorzüglich beherrschte, das heißt, auf jemanden herabzusehen – selbstverständlich im übertragenen Sinne, denn Mademoiselle Borejko war größer als sie. Das hinderte Polina Andrejewna jedoch nicht daran, sie über ihre hochmütig erhobene sommersprossige Nase hinweg zu betrachten und von Zeit zu Zeit mit den Brauen ein kaum merkliches Erstaunen anzudeuten, das, wenn es von einer nach der letzten Mode gekleideten Dame aus der Hauptstadt kam, das Herz jeder Provinzlerin empfindlich verletzen musste.
»Diese Puffärmel sind ganz reizend«, sagte die Lissizyna dann etwa, wobei sie mit dem Kinn auf Lidia Jewgenjewnas Schultern wies. »Ich selbst habe sie früher heiß geliebt. Es ist höchst bedauerlich, dass man in Moskau jetzt eng anliegende Ärmel trägt.«
Unvermittelt beachtete sie die Brünette, die vor Wut ganz blass war, überhaupt nicht mehr, und sie begann, sich mit dem Hausherrn ausführlich über Literatur zu unterhalten – ein Thema, bei dem Frau Borejko nicht mitreden wollte oder konnte.
Den Doktor schien diese vor seinen Augen stattfindende unblutige Schlacht überaus zu amüsieren, und er goss noch Öl ins Feuer.
Zunächst hielt er eine Lobrede auf rote Haare, die nach seinen Worten ein zuverlässiges Anzeichen für einen außergewöhnlichen Charakter seien. Polina Andrejewna horte das sehr gerne, doch unter den Blicken von Lidia Jewgenjewna, die ihr die von Donat Sawwitsch hochgerühmten »Feuerlocken« wohl mit Vergnügen einzeln ausgerissen hätte, zuckte sie unwillkürlich zusammen.
Selbst der prächtige Appetit der Moskauer Pilgerin diente Korowin als Anlass für ein Kompliment. Als er bemerkte, dass Polina Andrejewnas Teller schon wieder leer war, gab Donat Sawwitsch dem Lakaien ein Zeichen und sagte:
»Mir haben Frauen, die sich nicht zieren, sondern gut und mit Vergnügen essen, schon immer gefallen. Das ist ein untrügliches Zeichen echter Lebensfreude. Nur eine Frau, die Geschmack am Leben findet, ist in der Lage, einem Manne Glück zu schenken.«
Mit dieser Bemerkung fand die Mahlzeit ein abruptes, ja stürmisches Ende.
Lidia Jewgenjewna schleuderte ihre blitzende, von keiner Berührung mit Speisen
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