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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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um Weihnachten rieselte Seesand aus den Bademanteltaschen.
    Im Sommer 1946 stand aber niemandem der Sinn nach Ferienreisen. Wer Glück hatte, wurde von bessergestellten Verwandten eingeladen und konnte sich auf dem Bauernhof oder im Obstgarten mal wieder richtig satt essen, aber die meisten Bauern leugneten ohnehin alle verwandschaftlichen Bindungen und behaupteten auch noch, sie hätten selber nichts. Dabei ging die Mär um, daß in den Kuhställen die Perserteppiche schon übereinanderlägen, von hungernden Großstädtern herbeigeschleppt und gegen Milch und Eier eingetauscht. Wir hatten leider keine nahrhafte Verwandtschaft, ausgenommen Tante Lotte. Sie trauerte aber immer noch um Tante Brunhilde, und Mami hatte jedesmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie an diese Tragödie erinnert wurde. »Vielleicht hätte ich doch noch das Schlimmste verhindern können …«
    So hockte ich statt im Strandkorb auf dem heimischen Balkon und schnippelte aus alten Heftdeckeln Kleider für Juttas Anziehpuppen, als wir ihren Vater kommen hörten. Das röhrende Auto machte immer einen Heidenkrach, und wir stürzten erwartungsvoll auf die Straße, wo PW gerade sein Vehikel abschloß. Es handelte sich bei diesem Auto um einen uralten DKW, dessen ramponiertes Aussehen durch den riesigen Ofen am Heck auch nicht gerade verschönt wurde. Benzin gab es nicht, und deshalb wurden die wenigen Autos, die überhaupt schon fuhren, mit Holzgas angetrieben. Man frage mich jetzt nur nicht, wie das funktionierte! Ich weiß nicht mal, weshalb ein ganz normales Auto fährt. Man dreht den Zündschlüssel, tritt aufs Gaspedal, und dann setzt sich das Gefährt in Bewegung. Warum es das tut, habe ich nie begriffen.
    Jedenfalls gehörte PW schon seit einiger Zeit zu den glücklichen Besitzern eines fahrbaren Untersatzes, mit dem er ständig zwischen Berlin und Westdeutschland herumkurvte, um das bei Kriegsende lahmgelegte Unternehmen seines Schwiegervaters wieder auf die Beine zu stellen. Das war ein Zweigbetrieb der metallverarbeitenden Industrie, und PW hielt es für besser, die Wiederauferstehung in Westdeutschland, genauer gesagt in Düsseldorf, stattfinden zu lassen. Die politischen Verhältnisse waren in Berlin immer noch reichlich verworren und die wirtschaftlichen nicht viel durchschaubarer. So war er ständig auf der Achse, ausgestattet mit Transitgenehmigungen und Holzgasbeschaffungsscheinen in vier Sprachen, und brachte bei seiner Heimkehr neben organisierten Lebensmitteln auch regelmäßig Neuigkeiten aus der großen weiten Welt mit.
    Nun mußte man bei ihm zwar immer auf Überraschungen gefaßt sein – einmal hatte er anderthalb Zentner Holunderbeeren mitgebracht, von denen kein Mensch wußte, was man ohne Zucker damit anfangen könnte – aber diesmal hatte er etwas ganz Besonderes auf Lager.
    »Koffer packen, Herrschaften! Nächste Woche fahrt ihr für zwei Wochen nach Binz!«
    »Wohin?«
    »Nach Binz. Das liegt auf der Insel Rügen, und Rügen liegt in der Ostsee. Evelyn, das solltest du eigentlich schon wissen!« Ich wußte es aber nicht.
    Mami kam erst abends nach Hause. So lange mußten wir uns also gedulden, bis wir Näheres erfuhren. »Ich würde Käte nie alleine fahren lassen, die käme überall an, bloß nicht in Binz. Aber mit dir zusammen wird sie schon nicht verlorengehen.«
    Meine Mutter begriff zwar gar nichts, hörte aber geduldig zu. PW hatte in Düsseldorf von einem Geschäftsfreund erfahren, daß dessen Schwägerin schon wieder Urlaubsgäste aufnahm. Leider habe sich das noch nicht genügend herumgesprochen. Die meisten Deutschen stünden dem wiedererwachenden Tourismus auch noch skeptisch gegenüber, obwohl die Seebäder erstaunlicherweise bereits recht bevölkert seien, und ob PW nicht vielleicht Interessenten wüßte? Natürlich wußte er. Er bestellte sofort zwei Doppelzimmer, eins mit zusätzlichem Kinderbett, und nun strahlte er wie ein Weihnachtsmann. »Am Mittwoch rauscht ihr ab. Erholung könnt ihr beide brauchen, und den Kindern tut ein Klimawechsel auch gut. Ich halte inzwischen hier die Stellung.«
    Tante Käte sagte überhaupt nichts, und es dauerte auch eine ganze Weile, bis Mami den Mund aufmachte. »Ich glaube, jetzt bist du total verrückt geworden! In diesen Zeiten kann man doch nicht verreisen! Vielleicht darf ich auch noch daran erinnern, daß ich arbeite und nicht von heute auf morgen Urlaub bekomme.«
    »Deine Porzellanheinis sind doch froh, daß sie dich haben, also werden sie dir auch zwei Wochen

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