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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Ferien gönnen. Und wenn sie dich wirklich rausschmeißen sollten, findest du doch im Handumdrehen etwas Neues. Nötigenfalls klemme ich mich mal dahinter.« Meine Mutter hatte bereits eine wechselvolle Laufbahn hinter sich. Nach ihrem Zwischenspiel als ›housemaid‹ hatte sie sich bei einer Speditionsfirma in Zehlendorf-Mitte verdingt und den Transport von Dachpappe und Sägemehl überwacht. Nach sechs Wochen erschien die Polizei, nahm Geschäftsbücher, 22 Whiskyflaschen und den Firmenchef mit, versiegelte die Büroräume und eröffnete den beiden erstaunten Angestellten, daß man soeben eine lange gesuchte Schwarzmarktzentrale ausgehoben habe. Dann arbeitete sie bei einem Fotografen, der tagsüber im ›Wohnzimmer-Atelier‹ tätig war und nachts in amerikanischen Clubs fotografierte. Er brauchte jemanden, um den zweisprachigen Schriftverkehr zu bewältigen. Leider wurden ihm eines Nachts die beiden Kameras geklaut, worauf das Unternehmen zusammenbrach. Mami war arbeitslos.
    »Ich glaube, am besten versuche ich es wieder bei den Amis, die deutschen Firmen sind mir ein bißchen zu kurzlebig«, erklärte meine Mutter und machte sich seufzend über den berüchtigten, fünf Seiten langen Fragebogen her, unumgängliche Voraussetzung für ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis bei der Besatzungsmacht. Nach zwei Stunden klingelte sie bei Tante Käte und bat um einen Kognak. »Mich wundert nur, daß die nicht auch noch Schuhgröße und Handschuhnummer wissen wollen! Sag mal, muß ich den Karl eigentlich als Familienmitglied zählen oder nicht? Da wird nämlich gefragt, ob und welche Familienangehörige damals in der Partei waren.«
    Tante Käte vertrat die Ansicht, Herr Jäger sei schließlich nur angeheiratet und somit nicht direkt verwandt. »Außerdem war er doch bloß zahlendes Mitglied.«
    »Das ist denen doch wurscht. Partei ist Partei, und wenn die etwas von Mitgliedschaft hören, denken sie doch gleich an Hurra-Patriotismus und ähnliche Auswüchse.« Mami unterschlug also ihren nicht ganz fleckenlosen Stiefvater und leugnete auch noch meine BDM-Zugehörigkeit. »Genaugenommen warst du doch viel zu jung für diesen Verein.« Nachdem sie noch wahrheitsgemäß erklärt hatte, weder an Tuberkulose zu leiden noch an einer Geisteskrankheit und auch keine Epileptikerin sei, unterschrieb sie das gewichtige Dokument, reichte es ein und wartete. Jetzt mußte es geprüft werden, Rückfragen kamen, Unterlagen wurden angefordert; und in der Zwischenzeit saß Mami zu Hause und bezog die Lebensmittelkarte für ›Sonstige‹. Eines Morgens beobachtete Tante Else kopfschüttelnd, wie Mami mit Kaffeetassen jonglierte und dabei versuchte, zwei Gedecke in einer Hand zu transportieren. »Willst du jetzt zum Zirkus?«
    »So was Ähnliches! Ab morgen arbeite ich als Serviererin in der Snackbar.«
    Diese Tätigkeit dauerte genau eine Woche, denn als sich die Unkosten für zerschlagene Kaffeetassen mit den Einnahmen aus Icecream und Milkshakes endlich die Waage hielten, wurde die Fragebogenaktion positiv entschieden. Mami bekam einen Büroposten in der Magazinverwaltung, Abteilung Glas und Porzellan. Als erstes bearbeitete sie die Anforderungsscheine der Snackbar und ergänzte auf ganz legalem Verwaltungsweg den von ihr dezimierten Geschirrbestand. Im übrigen handelte es sich um einen ausgesprochen ruhigen Job, der keine geistigen Ansprüche stellte und im wesentlichen eine leserliche Handschrift erforderte. Zum Büroinventar gehörte eine uralte Schreibmaschine, die meistens kaputt war und zu allem Überfluß auch noch mit englischer Tastatur versehen war. Wenn Mami mit ihrem Zehnfingersystem darauf herumhackte, standen interessante sprachliche Neuschöpfungen auf dem Papier. Zwischendurch hatte sie immer noch Zeit genug, für ihren amerikanischen Vorgesetzten private Übersetzungen zu machen.
    Sergeant Shreevs war erst kürzlich nach Berlin versetzt worden und hatte in Frankfurt eine deutsche Freundin zurücklassen müssen. Die schrieb nun regelmäßig lange Briefe, mit denen ›mein liebster Teddy‹ jedoch nichts anzufangen wußte, weil er zwar einigermaßen gut deutsch sprechen, aber nicht lesen und erst recht nicht schreiben konnte. Mami übersetzte also bereitwillig die Wünsche nach Nylons, Zigaretten und Lippenstift und brachte auch die englisch geschriebene Antwort in eine für ›dearest Gudrun‹ verständliche deutsche Fassung. Nach dem vierten Liebesschwur (zweimal in deutsch und zweimal in englisch) streikte sie und

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