Pellkartoffeln und Popcorn
hatte, eine Unterkunft für uns zu finden. »Allerdings müssen Sie dann erst mal zurück nach Brandshagen.«
»Und wie kommen wir nach Brandshagen?«
»Mit der Straßenbahn, wenn noch eine fährt. Oder soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
Mami war für Sparsamkeit, Tante Käte für das Taxi. Es kam. Im Kofferraum stand der Holzgasofen, deshalb mußten wir das Gepäck auf dem Schoß behalten. Der Fahrer war bereit, uns auch noch über den Hindenburgdamm zu bringen. »Aber nur bis Bergen, sonst komme ich nicht mehr zurück. Weiter reicht mein Treibstoff nicht.«
Kurz nach elf krochen wir in Bergen aus dem Auto und steuerten ein nahegelegenes Cafe an, das allem Anschein nach noch geöffnet hatte. Der Kellner stellte gerade die Stühle hoch und starrte uns an, als seien wir unmittelbar vor seinen Augen vom Mond gefallen. »Wo kommen Sie denn jetzt her?«
»Aus Berlin, und wir möchten nach Binz«, erklärte Mami, »und nun erzählen Sie mir nur nicht, daß wir ein paar Kilometer vor dem Ziel steckenbleiben.«
»Wird wohl so sein«, sagte der Ober, »aber Sie haben wenigstens Gesellschaft. Die Herrschaften da hinten wollen auch nach Binz.« Damit wies er auf einen Ecktisch, wo ein
Herr bemüht war, seine zwei jugendlichen Begleiter am Einschlafen zu hindern. Er stellte sich als Dr. Nürnberg aus Erfurt vor, seines Zeichens Arzt, derzeit lediglich Vater, und als solcher schon seit zwei Stunden bestrebt, auf eine ihm noch nicht bekannte Weise nach Binz zu gelangen.
Die Cafetür öffnete sich, ein Mann mit Lederjacke und Gummistiefeln stürmte zur Theke und forderte lautstark: »Ein Bier, Hannes, aber schnell, ich muß weiter. Bin sowieso schon spät dran!«
»Ich glaube, Sie haben Glück«, sagte der Kellner Hannes und beeilte sich, dem Wunsch seines neuen Gastes nachzukommen. »Das hier ist Herr Petersen, und wenn ich mich nicht irre, ist er auf dem Weg nach Binz.«
»Das soll wohl so sein.« Herr Petersen wischte sich den Schaum vom Mund und musterte uns von oben bis unten. »Ich müßte schon längst dort sein, aber der Trecker war kaputt. Die haben schon telefoniert, wo das Mehl bleibt.«
Den Rest der Strecke legten wir auf Herrn Petersens Anhänger zurück, krampfhaft bemüht, die Koffer festzuhalten, die auf den Mehlsäcken von einer Seite zur anderen rutschten. Der Zufall wollte es, daß auch Herr Nürnberg in derselben Pension Quartier hatte wie wir, und so tuckerte Herr Petersen auch noch bereitwillig über die ausgestorbene Strandpromenade bis zur Villa Frigga. Endlich waren wir da!
Als ich am nächsten Morgen so gegen zehn Uhr noch halb verschlafen in das Frühstückszimmer schlurfte, traute ich meinen Augen nicht. Auf dem Tisch standen frische Brötchen, drei Sorten Marmelade, ein Topf mit richtiger Milch; und was sich Mami gerade in die Tasse goß, roch sogar ein bißchen nach Bohnenkaffee. Die anderen drei Gedecke waren unbenutzt. Zilligs schliefen also noch. Am Nebentisch saßen die Mehlsackreiter aus Erfurt. Das Mädchen mußte ungefähr in meinem Alter sein, ihr Bruder war vielleicht zwei Jahre jünger, und den Vater musterte ich nun ganz unverstohlen, sein Gesicht war von Narben durchzogen und schließlich hatte mir Omi schon in frühester Kindheit eingetrichtert, daß man die körperlichen Gebrechen anderer Leute tunlichst nicht zur Kenntnis nimmt.
»Das stammt sicher von Kriegsverletzungen«, flüsterte ich Mami zu, aber offenbar nicht leise genug.
»Ich muß dich enttäuschen, die Narben habe ich mir ganz freiwillig beim Mensurschlagen eingehandelt«, korrigierte der Herr vom Nebentisch und klärte mich über die studentischen Gepflogenheiten früherer Zeiten auf. Dann kam auch endlich die Familie Zillig, und während sich die Erwachsenen um die üblichen Formalitäten wie Anmeldung, Kurtaxe, Lebensmittelkartenabrechnung und Strandkorbmiete kümmerten, stürmten wir Kinder erst einmal ans Meer.
Die Ostsee sah genauso aus wie immer, die Strandkörbe hatten sich nicht verändert, Ruinen waren nirgendwo zu sehen. Und wenn ich auch noch an das reichhaltige Frühstück dachte, so schien es mir, als habe hier oben überhaupt kein Krieg stattgefunden.
Diesen Eindruck wurde ich auch während der ganzen zwei Wochen nicht los. Die Verpflegung war nicht gerade üppig, aber ausreichend. Wir bekamen sehr viel Fisch, den es markenfrei vor der Haustür gab – Frau Teetjens, unsere blonde Wirtin, hatte ein Dauerabonnement bei einem befreundeten Fischer – und noch mehr Gemüse, das im hauseigenen Garten
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