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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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weißer Schrift: ›Constanze Leier, Chiromantin‹, und etwas kleiner ›Sprechstunden nur nach Vereinbarung‹.
    »Was ist eine Chiro… Chiro… dingsda?«
    »Ach, du meinst die Neue im zweiten Stock?« Tante Else grinste.
    »Das ist so eine Art Wahrsagerin, die statt Kaffeesatz und Karten die Handlinien deutet, angeblich auf streng wissenschaftlicher Grundlage. Behauptet sie wenigstens.«
    Ich lernte Frau Leier kennen, als sie vergeblich versuchte, mit dem Kellerschlüssel die Haustür zu öffnen, und weil ich gut erzogen und darüber hinaus neugierig war, trug ich ihr auch noch die Einkaufstasche nach oben. »Das war sehr aufmerksam von dir, mein Kind. Du darfst eintreten und dir eine Belohnung abholen.« Also trat ich ein, weniger erpicht auf die Belohnung, die erfahrungsgemäß aus einem Fünfzigpfennigstück bestand oder bestenfalls aus zwei Keksen Marke Hundekuchen; mich interessierte vor allem die Wohnung. Wahrsagerinnen gehörten bisher nicht zu unserem Bekanntenkreis. Ich kann nicht sagen, was ich nun eigentlich zu sehen erwartet hatte. Vielleicht magische Zeichen und eine Glaskugel auf dem Tisch; keinesfalls jedoch blaugetünchte Wände und dunkelblaue Samtpolster, die einfach so auf dem ockerfarbenen Teppich herumlagen. An den Wänden standen Glasvitrinen, angefüllt mit seltsam geformten Steinen. Und wo bei uns die schmiedeiserne Deckenleuchte hing, baumelte hier eine Art Lampion bis fast auf den Fußboden.
    »Warte einen Augenblick, mein Kind«, tönte es aus dem
    Hintergrund, »du darfst dir inzwischen die Steine betrachten. Ich habe sie von meinen verschiedenen Reisen mitgebracht.« Also betrachtete ich mir die Steine und war besonders von einem angetan, der wie ein riesiges Schraubengewinde aussah. »Das ist eine Salzrose. Sie stammt aus der Sahara.« Frau Leier war unbemerkt ins Zimmer getreten. Ich drehte mich erschreckt um, und dann fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf.
    Frau Constance Leier – »du darfst Frau Constanze zu mir sagen« – trug ein bodenlanges Gewand aus grauen Schleiern und auf dem Kopf eine Art Diadem. Sie ließ sich majestätisch auf einem Polster nieder und forderte mich auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Bei mir wird das wohl nicht so majestätisch ausgesehen haben; mir waren meine langen Gliedmaßen im Wege. Außerdem hatten bei uns zu Hause alle Sessel Beine.
    »Erzähle mir etwas von dir? Wie alt bist du, in welche Schule gehst du? Wie leben deine Eltern?«
    Ich beantwortete bereitwillig die beiden ersten Fragen und überging die dritte, weil mir Mamis profane Tätigkeit angesichts dieser Umgebung zu wenig imponierend schien. So erklärte ich nur, sie sei Dolmetscherin, und außerdem müsse ich jetzt gehen. Frau Constanze geleitete mich zur Tür, vergaß die angekündigte Belohnung und entließ mich gnädig.
    »Jeder spinnt eben, so gut er kann«, meinte Tante Else, »aber Wahrsagen scheint eine ganz einträgliche Sache zu sein. Jedenfalls kommen neuerdings immer sehr gut angezogene Leute hier ins Haus. Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich es nicht mal mit Kartenlegen versuchen soll.« Tante Else übte sich schon seit Jahren in dieser Kunst, allerdings nur für den Hausgebrauch, und auch mit sehr kümmerlichen Ergebnissen. So hatte sie Omi mal ›das große Geld über den kurzen Weg‹ prophezeit, auf das diese bis zu ihrem Lebensende vergebens gewartet hat. Und mir hat sie ›eine bedeutungsvolle Botschaft durch einen dunklen Herrn, vielleicht ein Rechtsanwalt wegen einer Erbschaft oder so‹, vorausgesagt. Bis jetzt ist aber noch kein Erbonkel aufgetaucht, und meine einzige Bekanntschaft mit einem Anwalt datiert aus der Zeit, als mir ein angesäuselter Autofahrer den Kotflügel abrasiert und dann auch noch behauptet hatte, ihm seien gleich zwei Wagen entgegengekommen und deshalb habe er zwischen beiden hindurchfahren wollen. Jedenfalls fand ich Frau Constanze viel interessanter als die verwitwete Frau Regierungsrat, die früher ohnehin nur selten zu Hause war. Außerhalb ihrer Wohnung trug Pythia Zivil, weshalb Gina auch sehr enttäuscht war, als sie uns einmal auf der Straße begegnete. Offenbar handelte es sich bei dem Schleiergewand um eine Art Berufskleidung, die nur zahlenden Klienten vorgeführt wurde.
    Auch im Nebenhaus waren neue Mieter eingezogen. Nachdem Heidenreichs die restlichen Möbel abgeholt und die Wohnung ordnungsgemäß gekündigt hatten, waren in die leeren Räume Flüchtlinge eingewiesen worden, die außer dem festinstallierten Gasherd nur

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