Pellkartoffeln und Popcorn
wir uns die Hälse verrenkten, um auch den optischen Untermalungen ihrer Ausführungen gebührend folgen zu können. Bei schwungvollen Handbewegungen segelte gelegentlich auch ihre Armbanduhr durch die Gegend.
Auch Dr. Weigand liebte es, regelmäßig durchs Klassenzimmer zu wandeln, während er uns zum achten Male die Rechnungen mit zwei Unbekannten erklärte. Außerdem hatte er die Angewohnheit, unsere Tische abzuräumen, jeden größeren Gegenstand aufzunehmen und mehrmals damit durch die Luft zu schlagen. Kam er auf seiner Wanderung wieder am Katheder vorbei, so legte er seine erbeuteten Trophäen ab und sammelte neue ein. Offenbar war er sich dieser Vorstufe der Kleptomanie gar nicht bewußt, denn am Schluß der Stunde starrte er immer wieder verblüfft das Sammelsurium von Bleistiften, Federhaltern und Reißschienen an, um dann resignierend mit der Rückerstattung zu beginnen. »Wem is dat Linneal?«
Es gab aber auch Lehrer, die keine solchen Ambitionen hatten und das Geschehen lieber gelassen von ihrem erhöhten Podest aus betrachteten. Denen entgingen jedoch alle unlauteren Manipulationen, die Schüler schon seit Jahrzehnten im großen Ausmaß beherrschen. Auch wir konnten alle fließend mit verdrehten Augen lesen und mit nahezu geschlossenem Mund hilflos herumstotternden Mitschülern die benötigten Vokabeln zuflüstern. Außerdem entdeckte ich, daß die Zentralheizung neben mir einen unschätzbaren Wert hatte. Auf den einzelnen Rippen ließen sich bequem Geschichtszahlen, Vokabeln, chemische Formeln und notfalls geometrische Zeichnungen unterbringen, was die üblichen Spickzettel überflüssig machte und die Gefahr der Entdeckung nahezu ausschloß. Sogar Irene profitierte noch von meiner geheimen Buchführung. Sie saß direkt hinter mir, und wenn sie ihren Hals reckte und um die bewußte Säule schielte, konnte sie mühelos alles Nötige abschreiben. Nicht einmal Quasi ist uns auf die Schliche gekommen, obwohl ihr alle gängigen Betrugsmanöver – wie auch die weniger bekannten – geläufig waren. Sie erwischten mich zwar einmal, als ich emsig die Heizung abschrubbte, gab sich aber mit der Erklärung zufrieden, ich hätte in der vorangegangenen Zeichenstunde meinen Farbkasten hinuntergeworfen.
Unsere Rückkehr in die alte Schule und die Vergrößerung des Lehrerkollegiums brachten es auch mit sich, daß der bis dato noch immer etwas eingeschränkte Unterricht erweitert und der Stundenplan laufend geändert wurde. Als neues Fach kam Chemie dazu. Herr Dr. Weigand wurde ausersehen, uns in die Anfangsgründe dieser Wissenschaft einzuführen, und wir sahen ihm mit einiger Spannung entgegen. Schließlich hatte er schon einmal im Laufe einer physikalischen Demonstration die gesamte Stromversorgung lahmgelegt; und folgerichtig erwarteten wir, daß er jetzt den Chemiesaal in die Luft jagen würde. Das verhinderte zunächst aber der Mangel an chemischen Grundsubstanzen. Wir produzierten lediglich in bescheidenem Umfang Knallgas und mußten uns in der Folgezeit leider mit den trockenen theoretischen Ausführungen unseres Lehrmeisters begnügen.
Einige Wochen nach Schulbeginn rauschte Quasi während einer Zehnminutenpause in die Klasse und verkündete, sie habe jetzt den endgültigen Stundenplan, und wir möchten doch, bitte sehr, mitschreiben. Also malten wir gelangweilt das nun hinlänglich bekannte Schema auf einen Heftdeckel – Schreibpapier war für diesen Zweck zu schade, und gedruckte Stundenpläne gab es nicht – und warteten ergeben.
»Montag: Erste Stunde Englisch, Müller-Meiningen (die würden wir offenbar bis zu ihrer Pensionierung behalten), zweite Stunde Physik, Dr. Mannhardt, (der ist neu), dritte Stunde Mathe, Weigand (wurden wir den denn nie los??), vierte Stunde Geschichte, für mich wenigstens ein Lichtblick, fünfte Stunde Biologie, Griesinger (die kannten wir nun auch schon zur Genüge), sechste Stunde frei. Dienstag: Erste und zweite Stunde Deutsch, keine Vorfreude, (ich bleibe euch erhalten), dritte Stunde Französisch, Strack« usw. usw. »Habt ihr alles mitgekriegt?« Weg war sie. Plötzlich öffnete sich noch einmal die Tür, Quasi steckte ihren Kopf herein und sagte entschuldigend: »Ich habe noch etwas vergessen. Ab heute habt ihr eine neue Klassenlehrerin. Sie heißt Cornelius.«
Als Dr. Weigand das Klassenzimmer betrat, hatte sich der Jubel noch immer nicht gelegt. Etwas befremdet erkundigte er sich nach dem Anlaß unserer Begeisterung und meinte dann ein bißchen resignierend:
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