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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Peter führte mich ins Wohnzimmer, einem Mittelding zwischen Jugendstil und Neuzeit, nahm mir die Tabletten ab und bat um einen Moment Geduld. »Dann werde ich dich mit meinem Vater bekanntm achen.«
    Und da behauptete Omi immer, die Jugend von heute besäße überhaupt keine Manieren mehr!
    Herr Gassen stand vor der Staffelei und verteilte Ölfarbe auf ein Bild. Es handelte sich um das Kirchlein St. Bartholomä am Königsee, hinreichend bekannt aus Reiseprospekten und Versandhauskatalogen mit Touristik-Teil. An den Wänden lehnten weitere St. Bartholomäs (oder sagt man… mäen?) in verschiedenen Stadien der Vollendung. »Das ist so eine Art Fließbandverfahren und hat mit Kunst nichts zu tun«, erklärte Herr Gassen. »Zuerst male ich fünfzehnmal den Himmel, und wenn ich den letzten fertig habe, ist der erste wieder trocken. Dann kommen fünfzehnmal die Berge, schließlich die Kirche und der See. Weil es so langweilig war, habe ich neulich die Kapelle ein paarmal verkehrtherum gemalt; aber obwohl mein Kunsthändler ein Trottel ist, hat er das doch gemerkt.«
    »Nehmen Sie denn immer dasselbe Motiv?« Meine Vorstellungen von Kunstmalern sahen ganz anders aus! Ich dachte an Rembrandt und van Gogh, die Monate, wenn nicht gar Jahre an einem einzigen Gemälde gesessen hatten. Und nun das hier!
    »Nö, nicht immer. Aber der Königssee in Öl läßt sich ganz gut verkaufen. Nächste Woche muß ich wieder neue Mont Blanc machen. Bestellungen für den Schwarzwald liegen auch vor, aber ich habe im Augenblick nicht mehr so viel Grün. Vielleicht könnte ich in den Vordergrund ein paar Rehe setzen, braune Farbe ist noch genug da… Sag mal, Peter, fällt dir nichts mit Rot ein? Davon habe ich noch achtzehn Tuben.«
    Familie Gassen war zweifellos eine Bereicherung für die Riemeisterstraße. Schade, daß übermorgen die Schule wieder anfing, ich hätte meine Bekanntschaft gern noch etwas vertieft.
33
    Am ersten Schultag gab es eine Riesenüberraschung: Wir durften in unsere alte Schule zurück. Die Amerikaner hatten tatsächlich im Schnellverfahren ein eigenes Schulgebäude
    Marke ›Schuhkarton‹ hochgezogen und unsere angestammte Lehranstalt geräumt. Wir konnten sie wieder in Besitz nehmen. Der Schichtunterricht hörte auf, ein paar neue Lehrer kamen; und allmählich pendelten sich wieder normale Schulverhältnisse ein. Neue Lehrbücher erschienen auf dem Markt. Zwar in unzureichender Menge (wir fünf Zehlendorfer teilten uns zwei Mathe-Bücher), aber ›politisch gereinigt‹ und auf miserablem Papier gedruckt.
    Die schon seit langem sehr wackligen Schulbänke hatten die Amis uns gelassen; aber die Turnhalle war leer. Nur zwei ausgefranste Stricke vom Rundlauf hingen noch an der Decke. Für lange Zeit beschränkte sich also der Sportunterricht auf gymnastische Übungen und gelegentliche Ballspiele. Aber das war uns wurscht, wir hatten unsere Penne wieder und endlich eine Heimat.
    Die Klassenräume erschienen uns riesig; aber sie waren ja auch nicht für eine begrenzte Zahl sittsamer Klosterschülerinnen gedacht, sondern trugen dem Bewegungsdrang Heranwachsender Rechnung. Das uns zugewiesene Zimmer lag im ersten Stock, hatte zum Schulhof hin eine ganze Fensterfront mit richtigem Glas, unter den Fenstern die Heizkörper und direkt hinter der ersten Bank und unmittelbar neben einem Fenster eine dicke Säule. Vom architektonischen Gesichtspunkt aus eine glatte Fehlplanung, vom statischen her vermutlich eine Notwendigkeit. Mir wurde aber sofort klar, daß der äußere rechte Platz strategisch am günstigsten lag, und ich erhob Besitzansprüche. Niemand machte sie mir streitig; Plätze in der ersten Reihe waren sowieso nicht beliebt. Evchen schob sich maulend neben mich. Ich konnte ihren Mißmut verstehen, denn sie saß nun wirklich auf dem Präsentierteller. Andererseits waren wir aufeinander angewiesen und ein recht gut eingespieltes Team. Ich schrieb bei Mathe-Arbeiten alles einigermaßen Lesbare von ihr ab, während sie bei ähnlichen Gelegenheiten in meine Biologie- und Geographiehefte schielte. Meine spontan bekundete Vorliebe für den erwähnten Platz begriff sie nicht. »Weshalb willst du denn unbedingt den Prellbock spielen?«
    »Weil wegen der Säule hier niemand mehr vorbei kann. Mir bleibt also die Tuchfühlung mit den Paukern erspart.«
    Evchen sah das ein. »Dafür latschen sie jetzt an mir vorbei!« Vor allen anderen hatte Quasi einen ausgeprägten Wandertrieb und schritt dozierend durch die Bankreihen, während

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