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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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seitdem sich die Russen hier eingenistet haben. Der General allerdings hat schon dreimal gewechselt.«
    Die sowjetische Strandmode unterschied sich von der deutschen in wesentlichen Punkten. Die Damen trugen überwiegend hellrosa oder kakaobraune Schlüpfer mit halblangen Beinen, etwa von der Art, wie ich sie früher auf der Wäscheleine meiner Urgroßmutter hatte hängen sehen, und dazu ganz normale Büstenhalter. Die Herren bevorzugten gestreifte Schlafanzüge, in denen sie mitunter auch auf der Straße promenierten und die erstaunten Blicke deutscher Passanten wohl als Bewunderung auslegten, denn sie reagierten immer mit einem sehr freundlichen Lächeln. »Nu, wer weeß, wie die daheeme schlafen«, meinte Renate, »die kenn’ so was vielleicht gar nich.«
    Die zwei Urlaubswochen waren viel zu schnell herum, und mir grauste schon wieder vor der Rückreise. Aber sie war dann gar nicht so schlimm, weil Herr Zillig auftauchte, das Gepäck und seine beiden Töchter abholte und für uns drei Bahnreisenden nach bewährter Methode Sitzplätze besorgte. Wir brauchten auch nur viermal umzusteigen, verbrachten die letzten siebzig Kilometer stehend in der geöffneten Toilettentür und verloren zum Schluß noch die sechs geräucherten Heringe, Mitbringsel für die Daheimgebliebenen. Zum Abendessen waren wir aber immerhin schon wieder zu Hause.
    Vor unserer Abreise hatte ich mit Renate noch pflichtschuldigst die Adressen getauscht, umgehende Berichterstattung zugesichert und den Zettel mit der Anschrift dann prompt verbummelt. Sie war offenbar weniger schusselig. Jedenfalls bekam ich bald Post von ihr, antwortete auch, erhielt wieder einen neuen Brief, schrieb zurück, dann besuchte sie mich in Berlin, ich besuchte sie in Erfurt. Wir wurden Freundinnen, sahen uns häufiger, teilten Liebeskummer und Berufserfolge; die Köchin wurde Ärztin, die Kindergärtnerin Journalistin. Dann kam die Mauer, und damit war der Ofen aus! Seit zwanzig Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen, halten brieflichen und telefonischen Kontakt, kennen uns nur mehr von Fotos und scheuen allmählich vor einem persönlichen Zusammentreffen zurück. Wie sagte doch schon Vergil ganz richtig? O mihi praeteritos referat si Jupiter annos! [1]
32
    Mami gönnte sich noch einen Tag Erholung von der Erholung, bevor sie in ihren Porzellanladen zurückkehrte, sehnlichst erwartet von ihrer Kundschaft und für die kommenden Tage mit Liebesbriefen hinreichend ausgelastet. Auch Tante Else hatte schon auf meine Heimkehr gewartet. Bereits am nächsten Morgen wurde ich wieder zum Schlangestehen eingeteilt, pendelte zwischen Guber und Lehmann, holte Trockenkartoffeln und Leberwurst und dachte wehmütig an Meerwasser, Seesand und dolce far niente. Sogar den Hecht hätte ich jetzt gern in Kauf genommen…
    Gina freute sich ebenfalls. »Ein Glück, daß du wieder da bist. Die letzten zwei Wochen waren stinklangweilig. Irene und Anita sind verreist. Gerda hatte Mumps, und ich habe schon aus lauter Verzweiflung Vokabeln gelernt!« Dann hatte sie noch eine Neuigkeit für mich. »Weißt du, wer hier in unsere Gegend gezogen ist? Nee, kannste ja gar nicht, ich weiß es doch auch erst seit vorgestern. Quasi!«
    »Hierher? Nach Zehlendorf??«
    »Nicht bloß nach Zehlendorf, gleich um die Ecke!«
    »Etwa in die Ruine?«
    »Genau!«
    Wir nannten das ausgebrannte Haus im Eschershauser Weg immer noch die Ruine, weil es weit und breit die einzige gewesen war. Inzwischen hatte man es wieder restauriert, und mir war auf dem Weg zu Gina schon aufgefallen, daß an manchen Fenstern bereits Gardinen hingen. Gina meinte gottergeben: »So nahe hätte sie uns nun auch nicht gleich auf die Pelle rücken müssen. Jedenfalls gehe ich in Zukunft obenherum zur U-Bahn.« Gina wohnte am Hilssteig, und die kürzeste Strecke war die durch den Eschershauser Weg. »Außerdem können wir uns in Zukunft eine neue Ausrede suchen, wenn wir mal wieder zu spät kommen. Die ausgefallene U-Bahn zieht dann nicht mehr.«
    »Ebensowenig wie die angebliche Stromsperre. Quasi weiß doch jetzt ganz genau, wann hier bei uns die Lichter ausgehen!«
    Trübe Aussichten!
    Die großen Ferien schienen allgemein eine Völkerwanderung en miniature ausgelöst zu haben. Wir hatten bei uns im Haus auch Zuzug bekommen. Als ich am Tag nach unserer Rückkehr eine Ladung Wäsche auf den Trockenboden schleppte, war mir an der Wohnungstür der verwitweten Frau Regierungsrat ein neues Namensschild aufgefallen. Auf blauem Grund prangte da in

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