Pellkartoffeln und Popcorn
abgebrochene künstlerische Laufbahn einen großen Verlust für die Musikwelt bedeutet hat.
Omi fand sich eigentlich am besten mit den zunehmend schwerer werdenden Verhältnissen ab, obwohl sie es ja war, die die rationierten Lebensmittel einzuteilen und so in die Länge zu ziehen hätte, daß sie bis zum Monatsende reichten. Allerdings wurde ihr diese Aufgabe durch die Existenz einer Kusine erleichtert, die in Wolfenbüttel eine Gärtnerei besaß und uns häufig umfangreiche Lebensmittelpakete schickte. Zudem war einer von Tante Lottes Schwiegersöhnen Metzger von Beruf, und so fielen manchmal auch ein paar Würste oder Fleischdosen für uns ab. Omi war lediglich angehalten, die leeren Büchsen zwecks Wiederverwendung zurückzuschicken, weil es keine mehr zu kaufen gab.
Im übrigen war Omi das Musterbeispiel der deutschen Volksgenossin, wie man die Einwohner des Großdeutschen Reiches damals nannte. Sie hatte gehorsam zwei Messingleuchter abgeliefert und den kupfernen Blumenkübel, in den wir immer die Regenschirme stellten; sie hatte Vatis nagelneue Hickory-Skier zur Sammelstelle getragen und den bereits erahnten Wutausbruch ihrer Tochter schweigend in Kauf genommen; sie kochte einmal im Monat weisungsgemäß Wirsingkohl oder Linsensuppe zum Wochenende, denn inzwischen war ja der Eintopfsonntag proklamiert worden; sie strickte Socken für die Soldaten und hörte gewissenhaft den allwöchentlichen Radiokommentar von Hans Fritzsche. Währenddessen herrschte Sprechverbot, und ich wurde in mein Zimmer geschickt, damit ich die wenig linientreuen Randbemerkungen meiner Mutter nicht aufschnappen und eventuell weiterplappern konnte.
Omi war nur dann auf Hitler nicht gut zu sprechen, wenn der Kränzchennachmittag bevorstand und sie ihre kostbaren Zuckermarken opfern mußte, um die Kaffeeschwestern angemessen bewirten zu können. Im übrigen handelte es sich bei diesen Zusammenkünften nicht etwa um einen gewöhnlichen Kaffeeklatsch, nein, es war das monatliche Treffen des Königin-Luise-Bundes. Ich weiß nicht, wann und weshalb dieser Bund jemals gegründet wurde und welchem Zweck er diente; aber solange ich denken kann, gehörte Omi zu seinen Mitgliedern und bekleidete schon seit etlichen Jahren den Rang eines Kassenwartes. Dieses Geld wurde nun nicht etwa karitativen Zwecken zugeführt, wie es die ursprüngliche Satzung wohl einmal vorgesehen hatte; es wurde vielmehr zur Finanzierung gelegentlicher Ausflüge angelegt, die in der Regel drei Tage dauerten. Einer davon führte ins Riesengebirge, und ich besitze noch heute ein Foto, auf dem würdige Damen in Lodenröcken und mit hocherhobenen Spazierstöcken vor einem Wasserfall posieren.
Omis Unterabteilung des über ganz Deutschland verstreuten Königin-Luise-Bundes umfaßte etwa ein Dutzend Mitglieder, die einmal monatlich zusammenkamen. Das Treffen fand jedesmal bei einer anderen Dame statt, so daß jede nur einmal pro Jahr mit den Vorbereitungen belastet wurde. Inoffizielle Zusammenkünfte kleinerer Gruppen kamen häufiger vor, erforderten keinen nennenswerten Aufwand und rangierten unter dem Oberbegriff ›Plauderstündchen‹.
War Omi aber mit dem großen Empfang an der Reihe, dann bekamen wir die Auswirkungen schon vierzehn Tage vorher zu spüren. »Lauf mal eben zu Frau Lehmann, Kind, und sag ihr, daß ich am Dienstag Gardinen waschen muß. Und steck auch gleich die Karte in den Briefkasten. Ich habe Tante Else geschrieben, damit sie am Mittwoch kommt und mir beim Bügeln hilft.«
Bei uns hingen vor fast allen Fenstern Wolkenstores, und wenn diese riesigen Stoffmengen mit Frau Lehmanns Hilfe endlich gewaschen und getrocknet waren, begann der schwierigste Teil des Unternehmens. Wir standen rund um den ausgezogenen Wohnzimmertisch, Omi schwang mit dem Können langjähriger Erfahrung das Bügeleisen und kommandierte:
»Jetzt links ein bißchen ziehen! Nicht so toll! Else, du mußt rechts mehr hochhalten – ja, so ist es gut. Knautsch doch die Enden nicht so, Reni, sonst muß ich die noch mal plätten. Paß doch auf, Kind, du stehst ja schon drauf!«
Hingen die Gardinen endlich wieder vor den frischgeputzten Fenstern, dann wurde das gute Geschirr aus dem Schrank geholt und sorgfältig gespült, wobei Omi auf meine sonst obligatorische Hilfe beim Abtrocknen verzichtete.
Zwei Tage vor dem ereignisreichen Tag ging es dann erst richtig los: Da wurde zunächst einmal eine Torte beim Bäcker bestellt, weil man zeigen mußte, daß man sich das leisten konnte. Dann
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