Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
gräßlich.
    An die einzelnen Damen kann ich mich nicht mehr erinnern, weil sie sich alle irgendwie ähnelten. Alle waren so um die fünfzig herum, alle trugen hochgeschlossene Kleider und die meisten von ihnen dünne Haarnetze. Als herausragende Persönlichkeit konnte man allenfalls Frau Starke bezeichnen, mit ihren sechzig Jahren die Seniorin der Gruppe. Ihr Mann war Dozent für alte Sprachen, deshalb redeten die Mitschwestern sie auch immer mit ›Frau Professor‹ an.
    Sie bekam stets den Ehrenplatz am Kopfende der Tafel, und ebenso regelmäßig saß zu ihrer Rechten Frau Humbert. Diesen Vorzug hatte sie nicht ihrem Alter zu verdanken, sondern ihrer gesellschaftlichen Stellung. Ihr gehörte in Berlin ein großes Beerdigungsinstitut mit etlichen Filialen; sie hatte Geld, und sie zeigte es auch. Am liebsten in Form von Schmuck, und diesen wiederum in Gestalt einer dreireihigen Perlenkette, die ihr bis zum Bauchnabel hing. Sie war auch die einzige der Damen, die mit dem Auto kam. Manchmal wurde sie sogar mit dem betriebseigenen Leichenwagen gebracht, was in der Nachbarschaft jedesmal zu nicht unerheblicher Aufregung führte.
    Nur ein einziges Mal erschien eine wesentlich jüngere Dame, ich glaube, es war die Nichte von Frau Starke, jedenfalls war sie genauso füllig. Ich übte mich in Konversation.
    »Wohnen Sie auch in Berlin?«
    »Nein, ich bin nur ein paar Tage zu Besuch hier.« Ich überlegte krampfhaft, was ich nun noch fragen könnte. »Wie alt sind Sie denn?«
    »Ich bin ebensoalt wie deine Mami«, sagte die Dame taktvoll, und ebenso taktvoll erwiderte ich: »Dann sind Sie aber sehr dick für Ihr Alter, nicht wahr?«
    (Die Fortsetzung dieses Gesprächs fand in meinem Zimmer statt, und zwar zwischen Omi und mir!)
    Meine Mutter zog es an solchen Tagen vor, bei ihren Schwiegereltern zu übernachten, was ich ihr nicht verdenken konnte. Ich wäre auch lieber bei meiner Urgroßmutter gewesen, aber das ging nicht, weil ich für einen Soloauftritt vorgesehen war.
    Omi dichtete nämlich! Ihre Werke sind zwar niemals einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, aber im Verwandten- und Bekanntenkreise glänzte sie oft und gerne damit. Es gab keinen Geburtstag und keine Taufe, bei der sie nicht ihre gereimten Glückwünsche vortrug und mit angemessenem Beifall belohnt wurde. Später mußte ich ihre Werke zu Gehör bringen, und weil ich verhältnismäßig schnell lernte und das Gelernte auch noch behielt, wurden die Gedichte immer länger und meine Auftritte immer häufiger.
    Ich erinnere mich noch an die Silberhochzeit von Omis Schulfreundin Lore. Die Festlichkeit fand in großem Rahmen statt, die Damen trugen Abendkleider, und ich bekam auch etwas weißes Bodenlanges. Irgendwann zwischen Kaffee und Abendessen hängte Omi mir ein mit Blümchen gefülltes Körbchen um den Hals, rückte mein Moosrosenkränzchen wieder gerade und postierte mich auf einer Fußbank. Dann klatschte sie in die Hände.
    »Dürfte ich wohl um ein paar Minuten Aufmerksamkeit bitten? Meine Enkelin wird jetzt ein kleines Gedicht vortragen.«
    Das Stimmengemurmel verstummte, und ich begann mit einem endlos langen Poem, in dem viel von Liebe und grauen Haaren die Rede war. An einer bestimmten Stelle hatte ich von der Fußbank zu steigen und dem Jubelpaar zwei Silbersträußchen an die Kleider zu heften. Bei den häuslichen Proben hatte das auch immer einwandfrei geklappt, aber dabei trug ich keinen langen Rock. Jetzt verhedderte ich mich in dem Rüschenkleid, kippte von der Fußbank und knallte mit dem Kopf an den Rauchtisch. Omi kühlte die Beule mit einem Tafelmesser, und dann konnte ich den Vortrag fortsetzen.
    Als ich mit den Worten »so wünsche ich dem Silberpaar viel Glück und Segen immerdar« das eine Sträußchen dem Bräutigam ans Revers gesteckt hatte und bei der Braut das andere befestigen wollte, gab es die zweite Panne. Tante Lo trug etwas Wallendes, nirgends Knopfloch oder Schleife, und so stopfte ich ihr mein Angebinde kurzentschlossen in den spitzen Ausschnitt, in dem es prompt verschwand.
    Selbstverständlich wurden auch Omis Kränzchentage bedichtet, und besonders originell fand sie ihren Einfall, jede Dame einzeln zu erwähnen, indem sie ihre Vorzüge oder – wo nicht erkennbar – irgendwelche zurückliegenden Taten pries.
    Ab elf Uhr abends begann der Aufbruch, mehrmals wieder hinausgezögert durch ein letztes Gläschen Wein oder die Suche nach verlegten Gegenständen.
    »Ich weiß ganz genau, daß ich meine

Weitere Kostenlose Bücher