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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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war auch nicht mehr viel übriggeblieben. Man sei immer noch dabei, die Überlebenden zu bergen.
    Pützchen sprach schließlich das aus, was wir alle dachten: »Mein Gott, das muß der Zug gewesen sein, mit dem wir eigentlich hätten fahren sollen …«
14
    Kurz nach Mitternacht schleppten wir uns müde die Treppe zum Haus Heinfried hinauf. Drinnen brannte Licht. Fräulein Meyer öffnete. Sie starrte uns an, schrie auf und schlug die Tür wieder zu.
    »Ist sie übergeschnappt?« fragte jemand.
    Dann ging die Tür wieder auf. Diesmal stand Frau Dr. Hagen vor uns. Sie hatte verweinte Augen, und während sie uns mit leerem Blick ansah, flüsterte sie. »Aber ihr seid doch alle tot… «
    »Wir sind sehr lebendig, nur hundemüde, und jetzt möchten wir rein!« erklärte Pützchen resolut und beendete damit die Weltuntergangsstimmung. Im Nu waren wir umringt von Lehrern und Schülern, die durcheinanderquirlten und je nach Temperament lachten oder weinten. Und dann erfuhren wir schließlich, was sich in der Zwischenzeit hier getan hatte.
    Die erste Gruppe unter Fredemaries Leitung war pünktlich um die Mittagszeit in Podiebrad angekommen, und ein Teil der Mädchen pilgerte am Nachmittag zum Bahnhof, um uns abzuholen. Dort erfuhren sie, daß überhaupt kein Zug kommen würde, weil Pardubice bombardiert worden sei. Frau Hagen hängte sich ans Telefon, kam nicht durch, alarmierte alle möglichen Dienststellen einschließlich der des hiesigen Parteiobermotzen, der bedauerlicherweise gar nichts tun konnte, weil er für Schulen nicht zuständig war, aber schließlich bekam sie doch jemanden von der Bahnpolizei an die Strippe. Jawohl, es habe einen Bombenangriff gegeben; der Personenzug Nr. 347 sei in die Luft geflogen, und unter den wenigen Überlebenden seien keine Kinder.
    Kein Wunder also, daß Fräulein Meyer Gespenster zu sehen glaubte, als sie uns die Tür öffnete. Schließlich war das Lehrerkollegium gerade damit beschäftigt gewesen, die Beileidstelegramme an unsere Angehörigen zu entwerfen.
    Ich wurde in das Vier-Bett-Zimmer von Frauke einquartiert und bildete zusammen mit den beiden anderen Insassen die Belegschaft der ersten Klasse des Goethe-Lyzeums. Ulli, bisher Mitbewohnerin dieses Zimmers, räumte das Feld mit der Feststellung: »Ein Glück, daß ich hier rauskomme, ihr seid mir sowieso viel zu kindisch, und Musikverständnis habt ihr auch nicht!«
    »Musik nennst du diese Geräusche? Wenn Balduin den Mond anjault, klingt das melodischer! Und jetzt verschwinde endlich, ich will meine Post erledigen.«
    Auch für mich lag ein Stapel Briefe bereit. Zwei waren von Omi und drei von Mami. Mamis erster war in Nizza abgestempelt, der zweite in Berlin und der dritte in Wien. Offenbar war die germanische Vökerwanderung, die wir gerade im Geschichtsunterricht durchnahmen, noch gar nichts gegen den Wandertrieb meiner Mutter. Im ersten Brief schrieb sie, daß sie sich wie ein Räucherschinken vorkäme, weil sie seit zwei Tagen Akten verbrennen müsse. Man bezeichne diese Tätigkeit als ›Auflösung der Dienststellen und wenn der letzte Zettel vernichtet oder der Ofen dank Überbeanspruchung endlich in die Luft fliege, womit man stündlich rechnen könne, dann würde sie nach Berlin zurückfahren. ›Was dann passiert, weiß ich noch nicht, aber ich habe weder Lust noch Talent zum Granatendrehen. ‹ Ansonsten sei alles in Ordnung, und ob ich schon tschechisch sprechen könnte.
    Der zweite Brief war zwei Wochen alt. ›Berlin ist eine Trümmerwüste. Und Zehlendorf eine nahezu völlig intakte Oase. Kein Mensch kann sich erklären, weshalb ausgerechnet bei uns keine Bomben fallen. Omi behauptet, der Grunewald würde uns schützen, aber das ist natürlich Blödsinn. Die paar Kiefernpinsel geben doch keine Tarnung ab. Jedenfalls ist sie inzwischen davon überzeugt, daß wir auch weiterhin verschont bleiben und rennt nicht mehr beim ersten Sirenenton los, um ihr Kristall zu retten. Eine Zeitlang hat sie die wertvollsten Stücke in die Betten gestopft, aber das wurde ihr wohl mit dem Ausräumen zu umständlich. Jetzt steht das ganze Zeug unter den Betten, wo es hoffentlich auch bleiben wird. Der große Obstteller ist sowieso schon hinüber, allerdings nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch Omis Reinemachewut. Sie hat ihn mit dem Mop vom Büfett gefegt !‹ Dann schrieb Mami weiter, daß sie mit ihrer alten Filmfirma Verbindung aufgenommen habe. ›Der ganze Verein sitzt jetzt in Wien, weil die Berliner Ateliers in Trümmern

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