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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Liebesbriefe an Johannes Heesters schreibt.«
    Die anderen beiden Räume enthielten jeder drei Doppelbetten mit Strohsäcken, Tisch, Stühle, vier eiserne Soldatenspinde und ein paar Regale, auf denen ein buntes Durcheinander stand: Schulbücher, Zahnputzbecher, ein Einmachglas mit toten Käfern, ein Paket Hundekuchen und ein verwelkter Blumenstrauß. Meine Begleiterin, die Frauke hieß, aber viel lieber Diana geheißen hätte, half mir beim Auspacken, und zwischendurch erzählte sie alles, was ich ihrer Meinung nach unbedingt wissen mußte. »Das Camp hier leitet Fräulein Doktor Stade, auch Huhn genannt, weil sie immer wie eine aufgescheuchte Henne durch die Gegend flattert. Sie ist Englischlehrerin und spricht nur englisch mit uns, weil das besser sein soll. Hat aber den Vorteil, daß wir immer behaupten können, wir hätten nichts verstanden, wenn sie anordnet, daß wir Wasser holen sollen oder Holz sammeln. Dann ist noch Fräulein Putz da, also Pfützchen, unsere Mathelehrerin, und Fredemarie. Ihr Nachname ist Walther, aber Fredemarie ist doch viel schöner, wer heißt denn sonst schon so? Die Lehrer wohnten da hinten in der grünen Baracke, also ziemlich weit vom Schuß, und damit wir nicht so viel Unsinn machen, haben wir eine Aufsicht bekommen. Brigitte ist zwar schon siebzehn, aber sie macht jeden Fez mit. Gekocht und gegessen wird in dem Steinhaus da oben. Die Toiletten sind in der gelben Hütte mit den roten Herzchen drauf, alles Plumpsklos; aber man gewöhnt sich dran, und das Badezimmer zeige ich dir gleich.«
    Es gab sogar fließendes Wasser. Am Fuß der Wiese plätscherte ein kristallklares Bächlein: Bad, Waschküche und Trinkwasser-Reservoir in einem.
    »Ist ein bißchen kalt«, grinste Frauke, als ich vorsichtig die Fingerspitzen ins Wasser tauchte, »aber man muß sich ja nicht so furchtbar gründlich waschen.«
    Hier gefiel es mir großartig. Meine Mitschülerinnen behandelten mich, als gehöre ich schon immer zu ihnen, halfen mir über die Anfangsschwierigkeiten hinweg und machten mir die Eingewöhnung in das neuartige Gemeinschaftsleben leicht. Das Sommerlager war so ein Mittelding zwischen Feriencamp und Landschulheim. Vormittags hatten wir Unterricht, meist im Freien und daher überwiegend mündlich; nur bei Regenwetter wurden wir zu schriftlichen Arbeiten verdonnert. Außerdem wurden wir ›Kleinen‹ zum Teil von pädagogisch ambitionierten Primanerinnen unterrichtet, die untereinander wetteiferten, wer seiner Gruppe die meisten Kenntnisse vermitteln konnte. Und so haben wir in diesen Wochen vermutlich mehr gelernt als während normaler Schulstunden.
    Nachmittags hatten wir praktischen Unterricht. Wenn wir nämlich nicht gerade unser (von amtlicher Seite befohlenes) Quantum an Kamillen- und Schafgarbenblüten pflückten und die Konsumenten bedauerten, die das Gebräu würden trinken müssen, dann krochen wir durchs Gras und sammelten Käfer, Schnecken und ähnliches Gewürm, das Fredemarie als zoologisches Anschauungsmaterial verwendete. Oder wir zogen in den Wald und betrieben angewandte Botanik, indem wir Blaubeeren zum Nachtisch suchten oder dicke Borke von den Bäumen polkten, weil sie so schön qualmte, wenn man sie ins Feuer warf. Tagsüber wurden wir nur von Wespen und gelegentlich von Pferdebremsen attackiert, aber bei Einbruch der Dunkelheit überfielen uns wahre Heerscharen von Mücken. Die überall zwischen den Hütten entzündeten Lagerfeuer dienten also weniger der Romantik als eher dem Selbsterhaltungstrieb. Wir begossen uns reihenweise mit Salmiak und konnten kaum aus den Augen sehen; jedoch unsere Plagegeister zeigten sich davon wenig beeindruckt.
    Zweimal am Tag erschien Pavel mit seinem Ponywägelchen, brachte Lebensmittel, Zeitungen und amtliche Verordnungen und nahm auf dem Rückweg neben Briefen, Schafgarbenblüten und leeren Gemüsekörbchen auch gelegentlich menschliche Fracht mit, wenn nämlich jemand Preiselbeeren mit Vogelbeeren verwechselt hatte und ärztlicher Behandlung bedurfte. Das ›Huhn‹ verwaltete zwar eine umfangreiche Reiseapotheke und besaß auch einige Kenntnisse in Erster Hilfe, die sich jedoch vor allem auf Knochenbrüche und Wespenstiche beschränkten. Erhebliche Zweifel an Frau Stades medizinischen Fähigkeiten kamen uns, als sie bei einer Mitschülerin, die über vage Schmerzen in der Bauchgegend geklagt hatte, Blinddarmentzündung diagnostizierte und heiße Umschläge verordnete. Dem von Pavel eilends herangekarrten Arzt gestand die Patientin

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