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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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liegen. Wenn ich Glück habe, kann ich wieder bei der WIEN-FILM unterkriechen und kriege meinen Stempel ins Arbeitsbuchs
    Anscheinend hatte sie Glück. Der letzte Brief war erst vor ein paar Tagen in Wien aufgegeben, und darin stand, daß sie in den Ateliers am Rosenhügel säße, wo man noch munter drauflosdrehe, ohne zu wissen, ob die Filme jemals fertig werden. ›Meine Hauptaufgabe besteht darin, nach jedem Bombenangriff ans Telefon zu stürzen und festzustellen, ob die bei uns beschäftigten Schauspieler noch am Leben oder ausgebombt und wenn ja, wo jetzt zu erreichen sind.‹
    In Omis Briefen stand nichts Wichtiges. Sie jammerte über die Verknappung der Lebensmittel und daß so oft der Strom ausfiele, weil die Leitungen dauernd kaputt seien. Außerdem würden seit neuestem auch alle Männer eingezogen, die bisher als zu alt oder zu gebrechlich galten, um Soldaten zu werden. ›Volkssturm nennt man das. Onkel Paul mußte sich schon melden, und Herr Leutze ist vorgestern geholt worden. Opi rechnet nun auch mit seiner Erfassung; aber bis jetzt ist sein Jahrgang noch nicht dran.‹ Als Postscriptum stand noch eine erfreuliche Nachricht in dem Brief: ›Eben ist eine Karte vom Roten Kreuz gekommen. Vati ist in englischer Gefangenschaft‹
    Seit der Invasion hatten wir nichts mehr von meinem Vater gehört. Aber Mami hatte uns (und vermutlich sich selber) immer wieder beruhigt: »Heinz ist nicht zum Helden geboren und wird sich schon rechtzeitig abgesetzt haben. Als ich damals die Mitfahrgelegenheit nach La Rochelle hatte und ihn unverhofft besuchte, lag er in der Sonne und zählte Sandflöhe. Seine Kameraden putzten den Scheinwerfer, und die beiden Flakgeschütze waren eingemottet. Ich bin davon überzeugt, daß die Invasion ohne diese tapferen Soldaten stattgefunden hat.«
    Mami hatte mal wieder rechtbehalten!
    Unser ›Lagerleben‹ verlief nach festen Regeln. Wir trotteten morgens zur Schule, von der Schule direkt zu unserer Kantine, dann hatten wir eine Stunde Freizeit, und am Nachmittag noch einmal Unterricht. Omi äußerte briefliche Entrüstung, weil ich statt der bisher üblichen Einsen in meinen Klassenarbeiten nur noch Dreien oder bestenfalls und selten genug Zweien schrieb, schob meine mangelhafte Leistung auf die fehlende großmütterliche Schützenhilfe und kündigte entsprechende Maßnahmen an, wenn ich erst wieder zu Hause wäre. Und im übrigen sollte ich mir endlich merken, daß vor ›daß‹ immer ein Komma steht.
    Ende November – wir klebten während der Zeichenstunden schon emsig Buntpapiersterne und Strohkörbchen für die Weihnachtsdekoration – wurde ich ins Büro zitiert. Wenn man zur Privataudienz zu Frau Dr. Hagen befohlen wurde, bedeutete das selten etwas Gutes. Alle Hiobsbotschaften gingen über ihren Schreibtisch, und ihr blieb dann die wenig erfreuliche Aufgabe, den Betroffenen die jeweilige Unglücksmeldung möglichst schonend beizubringen. So setzte ich mich auch nicht gerade freudig erregt auf den angebotenen Stuhl und wartete ergeben.
    »Du darfst nach Hause fahren.«
    »Warum? Sind wir ausgebombt?« Das erschien mir die einzig logische Konsequenz.
    »Davon steht hier nichts. Ich bin lediglich angewiesen, dich so schnell wie möglich nach Eberswalde in Marsch zu setzen.«
    »Nach Eberswalde? Was soll ich denn da?«
    »Das weiß ich auch nicht. Vielleicht steht in diesem Brief Näheres.« Sie schob mir einen verschlossenen Umschlag über den Tisch. Der Brief war von Mami. Sie schrieb, daß es ihr nach vielem Hin und Her und mit Hilfe einflußreicher Freunde gelungen sei, mich aus Bad Podiebrad loszueisen. »Es wird Zeit, daß du nach Hause kommst, denn in der Tschechoslowakei wird auch bald der Teufel los sein. Nach Berlin darfst du zwar noch immer nicht zurück, deshalb habe ich angegeben, daß du nach Eberswalde kommst. Da lebt jetzt Tante Gerda. Sie weiß Bescheid. Ich hole dich dort sofort ab, sowie du angekommen bist.‹
    Eigentlich war ich gar nicht so begeistert von der Aussicht, heimfahren zu müssen. Mir gefiel es hier, und was mich in Berlin erwartete – beziehungsweise in Eberswalde – wußte ich nicht. An Tante Gerda konnte ich mich kaum erinnern, sie war eine Freundin meiner Mutter und sonst gar nichts. Wo Eberswalde überhaupt liegt, ahnte ich nur so ungefähr… meine Reaktion war also keineswegs enthusiastisch.
    »Sei froh, daß du noch rechtzeitig wegkommst«, erklärte mir Frau Hagen, »wer weiß, was uns hier in Kürze bevorsteht.«
    Diese prophetische

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