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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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muschelbesetzte Schmuckkästchen mit der Aufschrift ›Gruß aus Norderney‹, das mein hellstes Entzücken erregt hatte, war auch nicht mehr da.
    »Die sind getürmt!« sagte Mami, »und wenn du mich fragst, dann war es das Gescheiteste, was sie tun konnten.
    Ich überlege nämlich auch schon die ganze Zeit, ob wir nicht lieber nach Zehlendorf zurückgehen. Hier auf der Insel ist doch kaum noch ein Mensch, und wenn die Russen kommen, möchte ich mit denen lieber nicht alleine sein. Außerdem finde ich es ausgesprochen unsympathisch, daß Goebbels’ Villa gegenüber steht.«
    »Ach geh, der ist doch längst beim Adolf im Bunker.«
    »Aber jeder weiß, daß er hier auf Schwanenwerder sein Haus hat. Die Russen wissen das auch. Was ist, wenn sie die ganze Insel zusammenschießen?«
    »Was soll scho sein? Dann sammer eben hin!«
    Da Mami keinesfalls gewillt war, sich der fatalistischen Lebensauffassung ihrer Freundin anzupassen, ordnete sie sofortige Rückkehr nach ›Onkel-Toms-Hütte‹ an, wobei sie nun ihrerseits Tante Elfi Asyl anbot.
    »Und was g’schieht, wann der Edmund kommt?«
    »Leg ihm einen Zettel mit unserer Adresse hin. Er wird ja wohl lesen können.«
    »Dös is scho liab von dir, Herzl, aber i bleib hier. Wanns brenzlig wird, gang i halt zu denen von Nummer elf hinüber, die bleiben ganz g’wiß in ihrem Haus.«
    Als ich mit Mami zum S-Bahnhof marschierte, hörten wir in der Ferne Geschützdonner. Es war der 14. April. In den folgenden Tagen bereiteten wir uns alle auf den Empfang der Sieger vor, worunter nun keinesfalls das Winden von Girlanden oder die Bereitstellung von Ehrenjungfrauen zu verstehen ist. Es wurde im Gegenteil alles vernichtet oder versteckt, was an die vergangenen glorreichen Zeiten erinnern und den berechtigten Zorn unserer ›Befreier‹ hätte hervorrufen können. So stand Mami eine Stunde lang vor dem Kachelofen im Wohnzimmer und verbrannte Seite für Seite die beiden Exemplare von Hitlers ›Mein Kampf‹, für die sie ein halbes Jahr später mindestens zwei Stangen Zigaretten hätte eintauschen können. Als sie die Hakenkreuzfahne ebenfalls den reinigenden Flammen übergeben wollte, entriß ihr Tante Else in letzter Sekunde das symbolträchtige Stück. »Bist du verrückt? Das ist so ein prima Stoff, den kannst du doch nicht einfach ins Feuer schmeißen!«
    »Dann mußt du aber wenigstens das Mittelteil raustrennen!« Was Tante Else mit Hilfe von Rasierklingen und Nagelschere auch tat. Bei der Gelegenheit entfernte sie auch gleich vom Ärmel meiner BDM-Bluse das Emblem, nähte beim dazugehörigen Rock die Knopflöcher zu und bunte Träger an, verzierte den Rocksaum mit gestickten Blümchen und deklarierte das neue Kleidungsstück als Dirndlrock und somit ungefährlich.
    Unsere Kenntnisse über die Mentalität der Russen hatten wir überwiegend aus Zeitungsberichten bezogen, nach denen unsere künftigen Befreier unzivilisierte Barbaren sein sollten, die gerade die Aera der Steinzeit hinter sich gebracht hatten. Vervollständigt wurden diese Berichte von mündlichen Überlieferungen irgendwelcher Leute, die wieder andere Leute kannten, die schon mal einen Russen gesehen hatten. Und nach deren Ansicht sollten die sowjetischen Soldaten ausnahmslos zu groß geratene Kinder sein, die ›Wasser aus Wand‹ und ›Licht von Decke‹ als den Gipfel technischer Errungenschaften betrachteten und mit Glasketten oder Spielzeugautos in hellstes Entzücken versetzt werden könnten. Allerdings würden sie zu reißenden Bestien werden, wenn sie Alkohol bekämen, weshalb dieses tunlichst zu verhindern sei. Das mußte wohl alles so ähnlich wie bei den Indianern sein, die ja auch nicht gerade auf dem höchsten Stand der Zivilisation lebten und beim Genuß von Feuerwasser rebellisch wurden. Ich hatte eben den ›Lederstrumpf‹ gelesen und wußte also Bescheid! Alkohol hatten wir nicht mehr, und die übrigen Hausbewohner beteuerten ebenfalls, keine wie auch immer gearteten alkoholischen Reserven zu besitzen. Nun gab es aber zwei Kellerräume, die seit Monaten verschlossen waren, weil ihre Besitzer schon lange woanders lebten, nämlich Moldens und Zilligs. Was nun, wenn da möglicherweise Flaschen lagerten, was zumindest bei dem organisationsfreudigen Herrn Zillig durchaus wahrscheinlich war?
    »Wir müssen die Türen aufbrechen!« ordnete Herr Leutze an. Omi war dagegen. »Wir können doch nicht einfach…«
    »In diesem Falle können wir!«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis die beiden Schlösser

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