Pellkartoffeln und Popcorn
Vertreterin dieses liebenswerten Menschenschlags. Ein bißchen mollig, ein bißchen schlampig, völlig indolent und desinteressiert an allem, was nicht ihren unmittelbaren Lebensbereich betraf. Nichts und niemand konnte sie aus der Ruhe bringen. Als ihr einmal auf der Bahnhofstoilette ihre Armbanduhr gestohlen wurde, kommentierte sie den Verlust nur mit »dös is scho bleed, weil es woar die einzige, und jetzt muß i immer nach dena Kirchtürme schielen.« Mami schenkte ihr daraufhin einen Wecker, den Tante Elfi aber nicht haben wollte. »Weißt, Herzl, da macht mich das laute Ticken allweil ganz narrisch!«
Mami hatte Elfi in der Kantine der TOBIS kennengelernt, wo sie mißmutig im Kartoffelbrei herumstocherte und sich darüber beschwerte, daß es niemals »a anständige Mehlspeis« gäbe, obwohl doch »der Adolf a Österreicher« sei und als solcher zumindest in kulinarischer Hinsicht mal etwas für seine heim ins Reich gekehrten Landsleute tun könnte. Es stellte sich heraus, daß Elfi erst seit kurzem in Berlin lebte, und zwar in einem möblierten Zimmer bei »oaner ganz gräßlichen Wurz’n«, und so lud Mami sie hin und wieder nach Hause ein. Mit ihrem Charme wickelte sie sogar Omi um den kleinen Finger, wenn diese auch manchmal leise Zweifel an Elfis moralischem Lebenswandel äußerte.
»Natürlich ist sie ein bißchen halbseiden«, hatte ich meine Mutter einmal sagen gehört, konnte mir damals allerdings nichts darunter vorstellen. Später ging Elfi wieder in ihre Heimatstadt zurück; aber sobald sie für ein paar Tage nach Berlin kam, besuchte sie uns oder rief wenigstens an. Und nun war sie plötzlich wieder da und hatte ihre Zelte sogar in Schwanenwerder aufgeschlagen, jener Havel-Halbinsel, auf der Berlins prominenteste Prominenz wohnte, so auch unser Reichspropagandaminister Dr. Goebbels.
»Würde es dir Spaß machen, für ein Weilchen in eine Villa zu ziehen?« fragte Mami mich am nächsten Morgen, als ich unter Tante Elses Anleitung Strümpfe stopfen lernte, wozu ich herzlich wenig Lust und offensichtlich noch viel weniger Talent hatte. Folglich war ich nur zu bereit, woanders hinzugehen, erst recht in eine Villa, wo vermutlich das dazugehörige Personal Strümpfe stopfte.
»Hat Tante Elfi denn in der Lotterie gewonnen?«
»Nicht direkt, obwohl man es vielleicht so nennen könnte.« Weiteren Fragen wich Mami aus. Schließlich kann man ein unschuldiges Kindergemüt nicht mit der ach so fragwürdigen Moral von angehimmelten Tanten belasten. Besagte Tante war entschieden freimütiger und klärte mich bereitwillig auf, als wir ihre Luxusherberge bezogen hatten. »Weißt, Schatzerl, i hab oan Freund, dem der ganze Klumpatsch hier g’hört, und der hat mich halt zum Aufpassen hing’setzt, bis er aus Wien Zruckkommt. So ganz allein graus i mich aber zu Tode, deshalb bin i froh, daß ihr gekommen seid.« Das leuchtete mir ein.
Im übrigen kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß es solche Häuser überhaupt gibt. Das ganze Grundstück war von einer hohen Mauer umschlossen, unmittelbar neben dem Eingang befand sich ein Tennisplatz, auf dem jetzt allerdings Unkraut wuchs. Dann gab es zwei Treibhäuser ohne Glas, eine große, von alten Bäumen überschattete Rasenfläche, dazwischen Kieswege, von Blumenbeeten begrenzt; und unten am Wasser stand sogar noch ein verrottetes Bootshaus. Mitten auf dem Grundstück die Villa, von außen ziemlich schmucklos, innen überwältigend. Eine Kaminhalle mit Mosaikboden, weißer Flügel, weiße Ledersessel, überall Teppiche, geschwungene Treppe zum Obergeschoß, auch mit Teppichen belegt… so etwas Ähnliches hatte ich bisher nur mal in einer Illustrierten gesehen, die Aufnahmen vom Heim irgendeines Filmstars veröffentlicht hatte. Die Zimmer oben waren nicht minder beeindruckend, und ich überlegte lange, ob ich nun das mit den weißen Möbeln nehmen sollte oder lieber das mit der hellblauen Tapete. Dann entschied ich mich für das letztere, weil es direkt an das Bad grenzte, wo ich mich am liebsten etabliert hätte. Es war bis unter die Decke gekachelt, beinhaltete zwei Waschbecken, vielleicht sogar drei – denn ich vermochte diese etwas separat stehende ovale Installation mit der kleinen Dusche in der Mitte nicht zu identifizieren –, und in die Badewanne kletterte man nicht hinein, man stieg hinunter, weil sie in den Boden eingelassen war. Es gab sogar noch warmes Wasser, denn das Haus verfügte über ein eigenes
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