Pelte, Reinhard
trug.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, sprach sie ihn freundlich an.
Ihre Stimme klang interessant: weich, mit einem rauen Schmelz. Jung wandte sich ihr zu. Ihre Aufmachung war auf eine Art gelungen, die völlig vergessen ließ, welcher Aufwand dafür nötig gewesen sein musste.
»Ja, gerne. Ich suche einen Duft für meine Frau.« Jung lächelte sie an und vermerkte, dass er heute gerne tat, was sonst nicht unbedingt seine Art war.
»Denken Sie an einen bestimmten Duft, oder soll es eine Überraschung werden?«
»Eine Überraschung, das gefällt mir.«
»Ihrer Frau sicherlich auch. Welcher Typ ist sie denn, wenn ich fragen darf?« Ihr Tonfall verriet Aufmerksamkeit und zurückhaltende Freude über die Aufgabe, die sich ihr stellte. Jung fiel es nicht schwer, mit Worten ein Bild von Svenja zu zeichnen. Seine Frau war groß und schlank aber nicht zierlich. Man hätte sie für eine nordische Schönheit halten können, wenn ihre Proportionen nicht einen Hauch von den idealen abgewichen und ihr Schwerpunkt nicht unter dem Bauchnabel gelegen hätte.
Die junge Frau sah ihn die ganze Zeit aufmerksam an und hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als er geendet hatte, fragte sie: »Soll es denn ein Tagesduft sein oder lieber etwas für den Abend, für festliche Stunden?«
»Für festliche Stunden, bitte.« Jung war die Unterscheidung nach Anlässen bei der Duftwahl ganz neu.
»Dann würde ich Ihnen zu PURE POISON von Christian Dior raten. Es ist ein kostbarer, reicher Duft, nicht zu schwer oder gar opulent, aber auch nicht seicht und flüchtig. Er hat innere Stärke und feminine Klasse.«
Jung sah sie überrascht an und war auf der Stelle überzeugt, den richtigen Duft gefunden zu haben. Die anschließende Riechprobe bestärkte ihn in seiner Meinung. Er selbst roch PURE POISON gerne, ein Phänomen, das ganz neu für ihn war und ihn seltsam berührte.
»Wunderbar. Packen Sie es mir bitte als Geschenk ein«, sagte er erregt von dem angenehmen Gefühl, das absolut Richtige zu tun.
»Sehr gern.« Ihr Lächeln entblößte zwei Reihen schöner Zähne, die nicht wie dichte Palisaden in ihrem Gesicht standen. Vor denen hätte Jung sich eher gefürchtet, als dass sie einladend und freundlich auf ihn gewirkt hätten.
Er verließ schließlich den Laden mit dem dringlichen Wunsch, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Nicht nur das widerliche Wetter, das er noch einmal verfluchte, drängte ihn dazu. Er lief mit langen Schritten, soweit der vorweihnachtliche Aufgalopp in der Fußgängerzone es ihm gestattete, zurück zur Polizei-Inspektion, bestieg schnell sein Auto und fuhr zügig am ZOB {4} vorbei über Süderhofenden auf die Husumer Straße. Ab da brauchte er nicht mehr lange, um zu seinem Haus im Süden von Flensburg zu kommen. Ihn beschlich das Gefühl, als hätte er heute seinen Heimweg in neuer Rekordzeit zurückgelegt.
Der Besuch
Das kalte, triste Grau in Grau herrschte schon den dritten Tag, und Jung fragte sich, was geschehen müsse, damit endlich ein Zipfel Blau am Himmel zum Vorschein kommen könnte. Solange der schneidende Ostwind anhielt, war nicht damit zu rechnen. Das sagten ihm seine Erfahrung und leider auch der Wetterbericht, von dem er sich gewünscht hätte, er läge diesmal mit seiner Prognose daneben.
Als er am Nachmittag auf der Halbinsel Holnis die Auffahrt zu Bolls Haus hinauffuhr, hatten die Scheibenwischer die feinen Tröpfchen auf der Windschutzscheibe zu einem weißlichen Rinnsal an den Seiten zusammengeschoben. Boll hatte Jungs Auto bereits kommen sehen und wartete in der geöffneten Haustür.
»Moin, Tomi. Schönes Schiet-Wetter, das du da mitbringst. Komm rein, aber fix.«
»Moin Klaus. Sorry, aber ich hab das Wetter nicht gemacht.« Jung beeilte sich, in die Wärme des Hauses zu kommen.
Boll schloss die Tür hinter ihm und nahm ihm seine braune Lederjacke ab, die er schon so lange kannte wie seinen Kollegen selbst. Jung rieb sich fröstelnd die Hände und folgte Boll ins Wohnzimmer zu den bequemen Sofas.
»Wie lange ist es jetzt her, dass du in Afrika geschwitzt hast?«, fragte Boll aufgekratzt.
»Noch nicht lange. Aber ich weiß nicht, welches Wetter ich vorziehen soll. Ich glaube, wir sollten uns hier oben nicht zu laut beklagen.«
Boll lachte und bot Jung mit einer einladenden Geste einen Platz auf dem Sofa an.
»Wir haben ja Grog, Gele Köm und Pharisäer {5} , um über das Schlimmste hinwegzukommen«, bemerkte er spaßig.
»Bitte nicht. Tu mir das nicht an,
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