Pelte, Reinhard
bitte«, erwiderte Jung übertrieben und legte seine Handflächen flehend gegeneinander.
»Nun hab dich nicht so. Du kriegst bei mir nur vom Besten. Heute gibt’s einen spanischen Roten, Ribera del Duero, Jahrgang 2003. Einverstanden?«, beschwichtigte ihn Boll.
»Fragt sich, wie er heißt«, antwortete Jung mit gespielter Skepsis.
»Marques de Velilla Crianza. Zufrieden?«
»Könnte etwas länger gelagert haben, meinst du nicht auch?« Jung sah Boll schelmisch an und rutschte in die hinterste Sofaecke. Sie lachten beide los wie auf Kommando. Dann verschwand Boll eilig. Er kam zurück, in der einen Hand eine entkorkte Flasche und zwei schlichte Ballongläser, in der anderen ein Holztablett mit Käse und Brot.
»Wie geht’s eigentlich deiner Frau, Klaus?«, fragte Jung. »Wann immer ich dich besuche, ist sie weg. Versteckst du sie vor mir?«
»Purer Zufall. Ich weiß gar nicht, wo sie ist.«
Boll stellte die Gläser auf den Sofatisch und hantierte mit einem Messer auf dem Käsebrett herum.
»Einen Weichkäse aus dem Peyrigoux, einen bretonischen Camembert und einen Isigny Calvados aus der Normandie«, stellte Boll die Käsesorten vor.
»Sehr gut. Und das Brot aus Deutschland«, bemerkte Jung lakonisch und vergaß absichtlich, weiter nach Bolls Frau zu fragen.
»Ja, aber nach französischem Rezept, eine Parisien, mit Olivenöl und Paprika. Sehr knusprig ausgebacken.« Boll schenkte den Wein in die Gläser. Sie hoben sie und steckten die Nasen hinein. Über die Ränder sahen sie sich vergewissernd in die Augen und nahmen einen ersten, kurzen Schluck. Danach schwiegen sie andächtig.
»Prima. Fruchtig, mit Tiefe und Wucht, einfach perfekt, was meinst du, Klaus?«, beendete Jung das Schweigen.
»Sehr viel Frucht, wenig Tannin. Du hast recht. Ich mag ihn.«
Sie nahmen einen zweiten, längeren Schluck, stellten die Gläser zurück und ließen sich den Käse schmecken. Boll hob den Kopf und fragte neugierig: »Hast du nun herausgefunden, wo der Seemann abgeblieben ist, Tomi? Ich hab öfter an dich gedacht und mich gefragt, was du wohl gerade da unten treibst. Nun erzähl mal.«
In der Folgezeit berichtete Jung ausführlich von seinen Erlebnissen und seiner Arbeit bei der Marine. Er ließ kein Detail aus und vergaß nicht zu erwähnen, was ihm positiv aufgefallen war und was ihn irritiert und abgestoßen hatte.
»Hast du fein hingekriegt. Reichlich Dusel gehabt«, konstatierte Boll trocken, nachdem Jung geendet hatte.
»Glück hat bekanntlich nur der Tüchtige, obwohl ich allmählich an dieser Weisheit zweifle.«
»Hast du außer dir noch einen anderen Grund für deine Skepsis?«, lachte Boll.
»Ja, den Fall, über den ich mit dir sprechen will. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor einen solch arbeitsaufwendigen Einsatz bei einer Spurensuche erlebt zu haben. Ergebnis: null, absolut nichts.«
Jung schilderte Boll in kurzen Worten den Sachverhalt im Fall des verschwundenen Mädchens. Danach schwiegen sie für eine Weile und nahmen einen Schluck Wein und Käsehäppchen zu sich.
»Vielleicht haben sie an der falschen Stelle gesucht. Das würde mir spontan dazu einfallen«, brach Boll schließlich das Schweigen.
»Es gibt nur eine realistische Möglichkeit, mit dem Fahrrad nach Husum zu kommen. Andere Wege sind Umwege. Da wäre sie nie rechtzeitig angekommen, auf manchen nicht mal am gleichen Tag.«
»Vielleicht wollte sie gar nicht rechtzeitig ankommen. Wohin wollte sie denn?«
»Zu ihrem Klavierlehrer. Sie spielte gerne Klavier. Hat nie eine Unterrichtsstunde freiwillig versäumt. Alle Zeugenaussagen dazu sind eindeutig und glaubhaft.«
»Von Vater, Mutter, Lehrer, Freunden«, ergänzte Boll. »Wie war denn die Familie? Gibt es darüber genaue Erkenntnisse?« Boll fühlte sich in der Rolle des Supervisors sichtlich wohl. Seine Anregungen würden nur für Jung Konsequenzen haben. Er selbst war davon befreit, sich über die Folgen seiner Analyse Gedanken machen zu müssen.
»Es muss eine Musterfamilie sein«, fuhr Jung fort. »Vater engagierter Landwirt, einer der ersten in der Region, der auf Bio-Anbau umgestiegen ist. Die Mutter ebenfalls engagiert. Sie organisiert die Selbstvermarktung ihrer Produkte, sehr erfolgreich übrigens. Sie beliefert namhafte Kunden in Husum.«
»Welche denn?«, unterbrach ihn Boll.
»Unter anderem die Sterneküche im ersten Hotel am Platz«, sagte Jung leichthin: »Entsprechend ambitioniert sind sie mit ihren Kindern, beziehungsweise waren sie. Eine gute, vor allem
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