Pendergast 01 - Relic - Museum der Angst
rief der Kleine. »Billy, komm wieder rauf.
Bitte!
«
Ein Echo aus dem tiefen Treppenhaus war die einzige Antwort. Das Kind schniefte, dann hielt es sich am Treppengeländer fest und stieg langsam hinab in die Finsternis.
MONTAG
4
A ls Margo Green um die Ecke der Zweiundsiebzigsten Straße West ging, schien ihr die frühe Morgensonne voll ins Gesicht. Einen Augenblick lang blickte sie zwinkernd nach unten, dann warf sie ihre braunen Haare in den Nacken und überquerte die Straße. Das
New York Museum of Natural History
ragte mit seiner riesigen neuromanischen Fassade wie eine Burg vor ihr auf und reckte seine runden Türme und grünen Kupferdächer hoch über den Wipfeln einer Reihe von Gingko-Bäumen in den Himmel.
Margo ging die kopfsteingepflasterte Zufahrt zum Eingang für Mitarbeiter hinunter, vorbei an einer Laderampe und auf den mit Granit verkleideten Tunnel zu, der zu den Innenhöfen des Museums führte. Als sie aus dem Eingang intermittierendes Rotlicht zucken sah, wurde sie langsamer. In dem Innenhof am anderen Ende des Tunnels standen wild durcheinander Kranken- und Streifenwagen und ein Fahrzeug des Katastrophenschutzes.
Margo betrat den Tunnel und ging auf die gläserne Pförtnerloge zu. Normalerweise hockte Curly, der alte Wachmann, zu dieser frühen Stunde noch mit einer schon ganz schwarz gewordenen Calabashpfeife vor seinem dicken Bauch in einem Stuhl und döste. Heute aber stand er hellwach da. »Morgen, Frau Doktor«, sagte er und öffnete die Tür. Curly nannte praktisch jeden »Doktor«, vom Studenten bis hin zum Museumsdirektor, egal, ob sie diesen Titel wirklich trugen.
»Was ist denn hier los?« fragte Margo.
»Ich weiß nicht«, antwortete Curly. »Sie sind erst vor zwei Minuten hier reingefahren. Aber ich schätze, ich sollte heute mal besser Ihren Ausweis kontrollieren.«
Margo wühlte in ihrer Umhängetasche herum und fragte sich, ob sie ihn überhaupt dabei hatte. Seit Monaten hatte hier niemand mehr ihren Museumsausweis verlangt.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt eingesteckt habe«, sagte sie und ärgerte sich, daß sie seit dem Winter ihre Tasche nicht mehr ausgeräumt hatte. Ihre Freunde in der Anthropologischen Abteilung hatten sie erst kürzlich im Scherz für die »schlampigste Tasche des Museums« geehrt.
Das Telefon in der Pförtnerloge klingelte, und Curly hob ab. Margo fand ihren Ausweis und hielt ihn ans Fenster, aber Curly beachtete sie nicht, sondern hörte mit weit aufgerissenen Augen zu.
Als er auflegte, sagte er kein Wort, aber der Schreck war ihm sichtlich in die Glieder gefahren.
»Nun?« fragte Margo. »Was ist passiert?«
Curly nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ist besser, wenn Sie das nicht wissen«, sagte er. Das Telefon klingelte abermals. Curly wirbelte herum und nahm den Hörer ab.
Margo hatte den alten Wachmann sich noch nie so schnell bewegen gesehen. Sie zuckte mit den Achseln, steckte den Ausweis wieder in ihre Tasche und ging weiter. Das nächste Kapitel ihrer Dissertation wurde bald fällig, und sie hatte keine Zeit zu verlieren. Die vergangene Woche hatte sie ohnehin abschreiben müssen – da war die Beerdigung ihres Vaters gewesen und all die Formalitäten und Telefongespräche. Sie hatte eine Menge nachzuholen.
Margo schritt über den kopfsteingepflasterten Hof und betrat das Museum durch den Mitarbeitereingang. Dann wandte sie sich nach rechts und eilte einen langen Gang entlang zur Anthropologischen Abteilung. Die Büros der festangestellten Mitarbeiter waren alle noch dunkel, was sie bis neun, halb zehn Uhr normalerweise auch bleiben würden. Als der Korridor einen scharfen Rechtsknick machte, blieb Margo stehen. Quer über den Gang spannte sich gelbes Plastikband, auf dem sie lesen konnte: » POLIZEI VON NEW YORK – TATORT – BETRETEN VERBOTEN «. Jimmy, ein Aufseher, der normalerweise die Halle mit dem peruanischen Gold bewachte, stand zusammen mit Gregory Kawakita, dem jungen stellvertretenden Kurator der Abteilung für Evolutionäre Biologie, vor der Absperrung.
»Was ist denn hier passiert?« fragte Margo.
»Ein Musterbeispiel für die Effizienz dieses Museums«, sagte Kawakita mit einem trockenen Grinsen. »Man hat uns ausgesperrt.«
»Mir haben sie nur gesagt, daß ich niemanden durchlassen darf«, sagte der Wärter nervös.
»Hören Sie, guter Mann«, sagte Kawakita. »Ich muß morgen einen wichtigen Vortrag vor der
National Science Foundation
halten und habe deshalb einen langen Tag vor mir. Wenn Sie
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