Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
»Also gut, ich glaube Ihnen ja, und einen Strandurlaub fände ich irre gut. Aber gerade jetzt? Das kann echt nicht Ihr Ernst sein!«
Wieder ein Wortwechsel. Wieder wurde zur Ruhe gemahnt. »Okay, okay. Aber eines sag ich Ihnen, wenn ich in Bio durchfalle, dann ist das allein Pendergasts Schuld.«
Whit hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde. Dann sah er Corrie Swanson nach, wie sie von ihrem Arbeitsplatz aufstand und hinter dem Mann im Anzug herging. Der Typ sah nach Geheimdienst aus, zugeknöpfter Mantel, kantiges Kinn, dunkle Brille. In welchen Schwierigkeiten Corrie wohl steckte?
Als sie an ihm vorbeiging, zuckte ihr straffer Hintern einladend in ihrem verführerischen schwarzen Outfit, an dem etliche Metallstücke baumelten, und die violetten Haare, die an den Spitzen fast in Schwarz übergingen, fielen ihr tief auf den Rücken. Verdammt, Corrie war süß, aber nur solange er nicht versuchte, sie mit nach Hause zu bringen. Sein Vater würde ihn umbringen, wenn er mit so einem Mädchen ausging.
Whit wandte den Blick wieder auf die Formel, weil er den Krümmungsradius für eine Funktion mit zwei Variablen auswendig lernen musste, aber er verstand nur Bahnhof. Diese verdammte Formel hatte derart viele krakelige griechische Buchstaben, dass es sich dabei auch um die ersten Verse der Ilias handeln konnte.
Er stöhnte leise. Sein Leben war gelaufen. Und das alles nur wegen Jennifer und ihrer magischen Wasserpfeife…
Leichter Schneefall hatte eingesetzt, die Flocken waren auf die mit weißen Schindeln verkleideten Häuser an der Ecke Church Street und Sycamore Terrace in dem ruhigen Vorort River Pointe in Cleveland gefallen. In den breiten, verschneiten Straßen war es völlig still, die Straßenlaternen warfen ihr gelbliches Licht über die nächtliche Landschaft. Der ferne Pfiff eines Eisenbahnzuges verlieh dem ruhigen Wohnviertel eine melancholische Atmosphäre.
Hinter den geschlossenen Fensterläden in einem zweigeschossigen Giebelhaus bewegte sich ein Schatten. Es handelte sich um eine Gestalt im Rollstuhl, deren Umrisse im hellblauen Licht, das aus den Tiefen des Zimmers drang, kaum zu erkennen waren. Hin und her fuhr die Gestalt, wie bei einer Pantomime, und beschäftigte sich mit irgendeiner unbekannten Aufgabe. In dem Zimmer standen Metallregale vom Boden bis zur Decke, voll gepackt mit elektronischem Gerät: Monitore, CPUs, Drucker, Festplatten von mehreren Terabytes Speicherkapazität, Geräte zur Fernaufnahme von Computerbildern und zur Überwachung von Mobilfunkgesprächen, Router, NAS-Speichersysteme und LAN-Analyzer zur Überwachung des Datenverkehrs im Internet. Die Luft roch nach heißer Elektronik und Menthol.
Die Gestalt rollte hierhin und dorthin, während ihre weißen Finger auf Tastaturen tippte, auf Knöpfe drückte, an Ziffernschaltern drehte und auf Tastenfelder hieb. Langsam, eines nach dem anderen, wurden die Geräte heruntergefahren, ausgemacht, vom Netz genommen. Dann gingen, eines nach dem anderen, die Lämpchen aus. LAN- und Breitband-Verbindungen wurden unterbrochen, Bildschirme wurden schwarz, Festplatten kamen zum Stillstand, LED-Anzeigen erloschen. Der Mann, der in der Untergrund-Hacker-Community unter dem Namen Mime bekannt war, kappte seine Verbindungen zur Welt. Das letzte Licht erlosch – ein großer Flüssigkristallbildschirm –, dann war der Raum in tiefes Dunkel gehüllt.
Als er fertig war, lehnte sich Mime in der ungewohnten Dunkelheit zurück und atmete schwer aus. Jetzt war er völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Er wusste zwar, dass er, auf diese Weise von allem getrennt, nicht gefunden werden konnte, aber die Information, die ihm ein Mann übermittelt hatte, der unter dem Namen Pendergast bekannt war, einer von nur zwei Menschen, denen er wirklich vertraute, beunruhigte ihn zutiefst.
Mime war seit Jahren nicht mehr von den reißenden Datenströmen, die sein Haus ähnlich wie ein unsichtbarer Ozean umspülten, abgeschnitten gewesen. Darum beschlich ihn jetzt ein Gefühl der Kälte und der Einsamkeit. Er saß da und dachte angestrengt nach. Gleich würde er sich einer ganz anderen Reihe von Bedienungselementen zuwenden, und ganz andere Lichter würden das Zimmer erhellen: die Lichter einer Unmenge von Videokamera-Monitoren und Sicherheits-Leuchtanzeigen jenes Überwachungssystems, das im und ums Haus herum installiert war. Es handelte sich um eine Schutzmaßnahme, die er vor Jahren ergriffen hatte, aber noch nie hatte einsetzen müssen. Bis
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