Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
macht sich etwas aus Ihnen.«
Pendergast schwieg. Er ließ sich nichts anmerken.
D’Agosta und Pendergast hatten Viola Maskelene im vergangenen November kennen gelernt, als sie in Italien gemeinsam in einem Fall ermittelten. Für D’Agosta war es offenkundig gewesen, dass zwischen Pendergast und der jungen Engländerin vom ersten Augenblick an, als sich die beiden sahen, etwas war, das sich mit Worten nicht fassen ließ. Er konnte nur vermuten, woran Pendergast im Augenblick dachte.
Plötzlich erhob sich der FBI-Agent. »Sie haben recht getan, und jetzt können wir den Fall der Stormcloud als endgültig abgeschlossen betrachten.«
»Aber«, sagte D’Agosta, »wie sind Sie aus dem Schloss entkommen? Wie lange sind Sie dort unten eingemauert gewesen?«
»Ich war fast achtundvierzig Stunden in der Grabkammer angekettet.«
»Im Dunkeln?«
Pendergast nickte. »Während ich langsam erstickte, könnte ich hinzufügen. Ich habe meditiert, was ich als höchst nützlich empfand.«
»Und dann?«
»Wurde ich gerettet.«
»Von wem?«
»Von meinem Bruder.«
D’Agosta, der kaum den durch Pendergasts wundersames Auftauchen ausgelösten Schock verdaut hatte, erstarrte vor Schreck. »Ihrem Bruder? Diogenes?«
»Ja.«
»Aber ich denke, er hasst Sie.«
»Das stimmt. Und weil er mich hasst, braucht er mich.«
»Wofür?«
»Diogenes hat es sich mindestens seit einem halben Jahr zur Aufgabe gemacht, jede meiner Bewegungen genauestens zu überwachen, als Teil seiner Vorbereitung für das Verbrechen gewissermaßen. Ich bedaure sagen zu müssen, dass ich nichts davon gemerkt habe. Ich habe mich immer für den größten Stolperstein auf seinem Weg zum Erfolg gehalten und immer geglaubt, dass er eines Tages versuchen wird, mich umzubringen. Aber ich habe mich geirrt – was war ich doch für ein Dummkopf? Denn das genaue Gegenteil trifft zu: Als Diogenes erfuhr, dass ich in Gefahr war, hat er eine tollkühne Rettungsaktion gestartet. Als Dorfbewohner verkleidet, ist er ins Schloss eingedrungen und hat mich aus der Grabkammer befreit. Er beherrscht solcherlei Tarnungen meisterhafter als ich.«
Auf einmal schoss D’Agosta ein Gedanke durch den Kopf. »Einen Moment mal. Er hat doch verschiedenfarbige Augen, richtig?«
Pendergast nickte abermals. »Das eine ist haselnussbraun, das andere milchig blau.«
»Ich habe ihn gesehen! Auf dem Hügel oberhalb von Foscos Schloss. Kurz nachdem wir beide getrennt wurden. Er hat im Schatten eines Felsüberhangs gestanden und sich das ganze Treiben angeschaut, so ruhig und gelassen, als wäre es das erste Rennen in Ascot.«
»Das muss er gewesen sein. Nachdem er mich aus meiner Gefangenschaft befreit hatte, hat er mich in eine Privatklinik vor den Toren Pisas gebracht. Dort bin ich dann von der Dehydrierung und den Verletzungen, die mir Foscos Hunde zugefügt hatten, genesen.«
»Ich verstehe das alles trotzdem noch nicht. Wenn er Sie hasst – wenn er vorhatte, dieses so genannte perfekte Verbrechen zu begehen –, warum hat er Sie dann nicht einfach eingekerkert gelassen?«
Wieder lächelte Pendergast, allerdings freudlos. »Sie dürfen nie vergessen, Vincent, dass wir es hier mit dem Hirn eines besonders abartigen Verbrechers zu tun haben. Wie wenig ich doch seine wahren Pläne durchschaut habe!« Pendergast erhob sich und ging in die Küche. Kurz darauf hörte D’Agosta, wie Eiswürfel in einem Glas klirrten. Als der Agent zurückkehrte, hielt er in der einen Hand eine Flasche Lillet und in der anderen ein Whiskyglas. »Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht für einen Drink interessieren kann?« Er goss ein paar Fingerbreit ins Glas. »Wenn ich gestorben wäre, hätte ich Diogenes alles vermasselt. Wissen Sie, Vincent, ich bin nämlich die Hauptzielscheibe seines Verbrechens.«
»Sie? Sie sollen das Opfer sein? Warum hat er dann aber…«
»Ich soll nicht das Opfer werden. Ich bin es bereits.«
»Wie bitte?«
»Das Verbrechen findet bereits statt. Es wird erfolgreich ausgeführt, während wir hier sprechen.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Nichts in meinem Leben war mir so ernst wie das hier.« Pendergast trank einen großen Schluck Lillet und schenkte sich nach. »Diogenes ist während meiner Rekonvaleszenz verschwunden. Sobald ich genesen war, bin ich nach New York zurückgekehrt, und zwar inkognito. Ich wusste, dass seine Pläne fast reif waren, und New York schien mir der beste Ort zu sein, zu versuchen, ihm Einhalt zu gebieten. Ich hegte kaum einen Zweifel, dass das
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