Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
einzigartige Farbe. Denken Sie zum Beispiel an die Königin von Narnia. Kein anderer Diamant weist diese blaue Färbung mit den leichten Violett- und Grüntönen auf. Ich konnte jedes kleine Bruchstück identifizieren. Das habe ich die ganze Zeit gemacht – die Splitter sortiert.«
Sherman nahm einen der weißen Umschläge in die Hand und schüttete den Inhalt auf ein Blatt Papier, das auf dem Labortisch lag. Ein Häuflein blauer Splitt entstand. Er deutete darauf. »Die Königin von Narnia.«
Er nahm einen weiteren Umschlag in die Hand, schüttete ein purpurnes Häuflein heraus. »Das Herz der Ewigkeit.«
Er leerte ein Kuvert nach dem anderen. »Der Indigo-Geist. Ultima Thule. Der vierte Juli. Der grüne Sansibar.«
Es war wie ein steter Trommelwirbel, ein vernichtender Schlag nach dem anderen. Collopy starrte entsetzt auf die kleinen Häuflein glitzernden Sandes.
»Das ist ein makabrer Witz«, sagte er schließlich. »Das können unmöglich die Diamanten des Museums sein.«
»Die Farben dieser berühmten Diamanten sind exakt messbar«, antwortete Sherman. »Ich habe harte Daten zu jedemeinzelnen. Ich habe die Splitter überprüft. Die Messdaten entsprechen exakt den Färbungen der Diamanten. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.
Das sind unsere Steine
.«
»Aber doch bestimmt nicht alle?«, sagte Collopy. »Er kann nicht
alle
vernichtet haben.«
»Das Paket enthielt 2,42 Pfund Diamantensplitt. Das entspricht etwa 5500 Karat. Rechnet man die verschüttete Menge hinzu, dann enthielt die ursprüngliche Lieferung etwa 6000 Karat. Ich habe das Gewicht der gestohlenen Diamanten zusammengerechnet …«
Shermans Stimme stockte.
»Und?«, fragte Collopy schließlich, unfähig, sich länger zu beherrschen.
»Das Gesamtgewicht betrug 6042 Karat«, flüsterte Sherman. Ein langes Schweigen senkte sich über das Labor, das einzige Geräusch war das schwache Summen der Neonlampen. Schließlich hob Collopy den Kopf und sah Sherman in die Augen.
»Dr. Sherman«, fing er an, aber weil ihm die Stimme versagte, musste er noch einmal ansetzen. »Dr. Sherman. Diese Information darf diesen Raum
nicht
verlassen.«
Sherman, der ohnehin schon blass war, wurde kreidebleich. Doch nach einem Moment nickte er stumm.
4
William Smithback jr. trat in die Dunst- und Duftschwaden des schummrigen Lokals, das als
Knochenburg
bekannt war, und blickte sich suchend in dem lauten, überfüllten Raum um. Es war fünf Uhr nachmittags, und die Kneipe war brechend voll. Überall Museumsangestellte, die sich nach einem langenArbeitstag in dem staubigen Granithaufen auf der anderen Straßenseite die Kehle anfeuchteten. Wieso sie alle unbedingt an einem Ort herumhängen wollten, an dem jeder Quadratzentimeter Wandfläche mit Knochen bedeckt war, nachdem sie schon den ganzen Tag in einer solchen Umgebung verbracht hatten, war Smithback ein Rätsel. Er selbst besuchte die Knochenburg nur aus einem einzigen Grund – wegen des vierzig Jahre alten Single Malt Whiskys, den der Barkeeper unter der Theke bunkerte.
Sechsunddreißig Dollar das Glas war zwar nicht unbedingt ein Schnäppchen, aber allemal besser, als sich die Eingeweide von einem billigen Cutty Sark für drei Dollar verätzen zu lassen.
Er erspähte das kupferfarbene Haar seiner frisch angetrauten Ehefrau Nora Kelly, die an ihrem Stammplatz in der hintersten Ecke des Lokals saß. Winkend schlenderte er auf sie zu und nahm eine dramatische Pose ein.
»Doch still, was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost und Julia die Sonne«, deklamierte er. Dann drückte er ihr einen flüchtigen Kuss auf den Handrücken und einen weitaus intensiveren auf die Lippen und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. »Na, wie läuft’s?«
»Die Arbeit im Museum ist irre aufregend.«
»Du meinst die Panik wegen des vermeintlichen Giftanschlags heute Morgen?«
Sie nickte. »Jemand hat ein Paket für die Mineralogische Abteilung abgegeben, aus dem irgendein Pulver rieselte. Sie hielten es für Anthrax oder so was.«
»Ich hab davon gehört. Genau genommen hat Bruder Bryce heute einen Artikel darüber eingereicht.« Bryce Harriman war Smithbacks Kollege und Erzrivale bei der
Times
, aber Smithback hatte kürzlich einige Riesenknüller gelandet und sich damit eine kleine Atempause verschafft.
Der Kellner, der wie immer ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter machte, kam an ihren Tisch und erwartete stumm ihre Getränkebestellungen.
»Ich nehme zwei Fingerbreit von dem Glen Grant«, sagte Smithback.
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