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Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung

Titel: Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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am Tag und – sehr häufig – auch in der Nacht.
    Im Nebenzimmer war es still geworden. Carlton musste den Fernseher ausgestellt haben, um seiner anderen Leidenschaft zu frönen: dem Kreuzworträtsel der Londoner
Times.
    June Brodie blickte seufzend auf die Formulare, die auf ihrem Schoß lagen. Apropos Job, sie sollte sich besser daranmachen, diese Papiere auszufüllen. Ihre Zulassung als examinierte Pflegefachkraft war schon vor 2004 abgelaufen, und die Gesetze in Mississippi verlangten, dass sie …
    Unvermittelt schaute sie auf. Carlton stand in der Tür, einen höchst eigenartigen Ausdruck im Gesicht.
    »Carlton?«, sagte sie. »Was ist denn? Was …«
    In diesem Augenblick trat eine andere Gestalt aus der Dunkelheit hinter ihrem Mann hervor. June Brodie stockte der Atem. Es war ein großer, hagerer Mann in einem dunklen, teuer aussehenden Trenchcoat. Eine schwarze Lederkappe war tief in die Stirn gezogen; die Augen musterten sie mit ruhiger Distanz. In einer seiner behandschuhten Hände hielt er eine Pistole, und die war auf die Schädelbasis ihres Mannes gerichtet. Der Lauf wirkte seltsam lang, bis sie erkannte, dass die Waffe mit einem Schalldämpfer ausgerüstet war.
    »Hinsetzen«, sagte der Mann und stieß Carlton auf das Zweiersofa neben ihr. Obwohl June Brodie einen Adrenalinschub verspürte, so dass ihr Herz laut klopfte, fiel ihr sogleich der ausländische Akzent des Mannes auf. Europäisch, niederländisch vielleicht, wahrscheinlicher deutsch.
    Er blickte sich im Zimmer um, bemerkte das offene Fenster, schloss es und zog die Vorhänge vor. Er legte seinen Trenchcoat ab und hängte ihn über einen Stuhl. Dann zog er den Stuhl heran, so dass er vor dem Ehepaar saß, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Die Faustfeuerwaffe hing locker herab. Er zog die Hose an den Knien hoch und zog beiläufig die Manschetten heraus, so, als habe er einen Tausend-Dollar-Anzug statt Einbrecherkluft an. Als er sich vorbeugte, fiel June ein langes, dünnes, wurmförmiges Muttermal unter dem einen Auge auf. Absurderweise dachte sie: Warum lässt er das hässliche Ding nicht entfernen?
    »Ich frage mich«, sagte er mit angenehmer Stimme, »ob Sie mich wohl über etwas aufklären könnten.«
    June Brodie warf einen verstohlenen Blick auf ihren Mann.
    »Könnten Sie mir bitte sagen, was
moon pie
ist?«
    Im Raum blieb es still. Hatte sie sich vielleicht verhört?
    »Regionale Spezialitäten interessieren mich«, fuhr der Mann fort. »Ich bin jetzt seit einem Tag in diesem eigentümlichen Teil Ihres Landes. Ich kenne den Unterschied zwischen
crawfish
und
crayfish
 – es gibt keinen, beides bedeutet Flusskrebs. Ich habe
grits
und, wie nennt man es noch mal,
hush puppies
gekostet – frittierte Maismehlbällchen. Aber ich komme einfach nicht dahinter, was für eine Pastete
moon pie
ist.«
    »Es ist keine Pastete«, sagte Carlton mit hoher, gezwungener Stimme. »Sondern ein großer Keks. Man macht ihn aus Marshmallows und Graham-Crackern. Und Schokolade.«
    »Verstehe. Danke schön.« Der Mann hielt inne und musterte sie nacheinander. »Und würden Sie jetzt vielleicht so freundlich sein, mir zu sagen, wo Sie beide die letzten zwölf Jahre gewesen sind?«
    June Brodie atmete tief durch. Beim Sprechen wunderte sie sich selbst, wie ruhig ihre Stimme klang. »Das ist kein Geheimnis. Es stand in der Zeitung. Wir haben eine Frühstückspension in San Miguel in Mexiko geführt. Sie heißt Casa Magnolia, und …«
    Mit einer einzigen, sparsamen Bewegung hob der Mann seine Waffe und schoss – wobei ein gedämpftes
Peng
erklang – Carlton Brodies linke Kniescheibe weg. Brodie zuckte zusammen, als wäre er von einem elektrischen Viehtreiber berührt worden, krümmte sich und schrie vor Erstaunen und Schmerzen auf. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, die das Knie umklammert hielten.
    »Wenn Sie nicht sofort still sind«, sagte der Mann kühl, »geht der nächste Schuss in die Hirnschale.«
    Carlton stopfte die Faust, die nicht das Knie umklammerte, in den Mund. Tränen quollen ihm aus den Augen. June war aufgesprungen und wollte zu ihm gehen, aber eine ruckartige Bewegung der Pistole ließ sie auf ihren Stuhl zurücksinken.
    »Mich anzulügen, ist beleidigend«, sagte der Mann. »Tun Sie das nie wieder.«
    Absolute Stille im Zimmer. Der Mann zupfte an seinen Handschuhen, erst am rechten, dann am linken. Als er die Ledermütze zurückschob, kamen feine, markante Gesichtszüge zum Vorschein: eine dünne Nase, hohe

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