Penelope Williamson
einfachen Holzbrücken.
Schließlich bestand der Weg, der die einzelnen Farmen miteinander verband,
nur noch aus zwei ausgefahrenen Radspuren. Hin und wieder sah Delia auf einer
Lichtung die einfachen Holzhäuser der Farmer. Unwillkürlich mußte sie wieder an
Tyl denken. Hatte er sich auch so ein Haus gebaut, in dem er den Rest seines
Lebens – allein – verbringen wollte?
»Gehört eines der Häuser Dr. Savitch?« fragte sie schließlich Nat.
»Nein, Tyl hat seine Blockhütte sehr viel
weiter flußaufwärts, noch hinter meiner Farm.« Seine grauen Augen richteten
sich ernst auf Delia. »Der Doc will vor allem seine Freiheit wie die meisten,
die sich hier in Maine ansiedeln. Das sollten Sie nie vergessen, wenn Sie bei
uns bleiben wollen.«
»Ja.« Delia errötete über diese seltsame Zurechtweisung, die sie
nicht ganz verstand. Deshalb schwieg sie verunsichert.
Schließlich bog Nat vom Weg ab und lenkte den
Wagen vom Fluß in den Wald. Ein paar hundert Meter ging es auf einem gewundenen
Pfad mitten durch hohe Tannen, Kiefern und Ahornbäume. Dann zog Nat die Zügel
an. Es war plötzlich so still, daß Delia das Summen der Fliegen hörte.
»Wir sind da«, verkündete Nat überflüssigerweise. Delia spürte
seine Augen auf sich gerichtet. Er wartete offensichtlich gespannt auf ihre
Reaktion.
Das Haus stand auf einer gerodeten Lichtung.
Nach drei Seiten erstreckten sich Maisfelder. Die Vorderseite des Hauses wies
zum Fluß. Delia konnte das Wasser zwar nicht sehen, aber sie hörte es als
leises Rauschen, wie Wind, der über hohes Gras streicht. Es war ein
einstöckiges Bretterhaus mit einem ausgebauten Zimmer unter dem steilen
Schindeldach. Zwei Gaubenfenster ragten daraus hervor. Nat sagte, das steile
Dach sei im Winter notwendig, damit der Schnee herunterrutschte. Auf der
Vorderseite befand sich der Küchengarten und etwas weiter entfernt der
Obstgarten. Die Scheune und die Ställe standen an einem sanft ansteigenden Hang
in gebührendem Abstand zum Schornstein, damit sie durch Funkenflug nicht in
Brand gesetzt wurden. Ein überdachter Gang verband den Holzschuppen und die
Räucherhütte mit dem Haupthaus.
Delia nickte anerkennend. »Ich kann zwar nicht behaupten, etwas
von Farmen zu verstehen, aber seit Boston sind wir an vielen Farmhäusern
vorübergekommen. Dies ist aber bestimmt das schönste von allen.«
Sie hatte gehofft, ihm mit diesem Kompliment eine Freude zu
machen, aber er zog nur die Mundwinkel nach unten und sagte mißmutig: »Man muß
Tag für Tag hart arbeiten, um das alles in Ordnung zu halten.« Das war
natürlich als Warnung gedacht: Sie sollte nicht erwarten, daß das Leben hier
einfach sein würde.
»Ich habe Dr. Savitch bereits in Boston erklärt, daß ich vor harter
Arbeit nicht zurückschrecke.«
»Es kommt natürlich darauf an«, erwiderte er und sah sie durchdringend
an, »was Sie unter 'harter Arbeit' verstehen.«
Delia stieg das Blut in die Wangen. Als Nat
ihre Verlegenheit bemerkte, wandte er den Blick ab und nickte, als seien seine
schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
»Nat, was immer Sara Kemble Ihnen über mich gesagt haben mag, ich
möchte, daß Sie wissen ...«
»Später«, unterbrach er sie knapp. »Wir sprechen später darüber.
Meine beiden Mädchen warten auf uns. Meg hat etwas gekocht, das heißt, wenn Sie
zum Essen bleiben wollen ...«
»Ja, ich würde gern zum Essen bleiben, Nat. Danke für die Einladung.«
Nat half Delia, vom Wagen zu steigen, und ging
mit ihr zum Haus. Sie blieb noch einmal stehen und sah sich um. Ja, es war eine
schöne Farm. Warum sollte sie hier nicht glücklich sein? Wenn nur ...
Aber daran wollte sie in diesem Augenblick
nicht denken.
Hinter den Feldern standen in einem weiten
Halbkreis abgestorbene Bäume, die im nächsten Winter gerodet werden sollten. Aber
auch dort wuchsen bereits Mais, Bohnen und Kürbisse. Die Maisstauden dienten
den Bohnen als Rankpfähle und boten Kürbis und Gurken den notwendigen Schatten.
»Der Boden hier ist fruchtbar«, sagte Nat, der
ihren Blick bemerkte. »Aber er läßt sich wegen der vielen Steine so gut wie
nicht pflügen. Ich könnte schwören, daß sich die Steine in jedem Winter wie die
Karnickel vermehren.«
Delia hörte das Bimmeln einer Blechglocke. »Sie haben einen
Ziegenbock!« rief sie staunend.
Nat mußte unwillkürlich lachen. Zum ersten Mal wirkte er fröhlich
und entspannt und war augenblicklich ein anderer Mensch.
»Von Tieren scheinen Sie nicht viel zu
verstehen«, sagte er
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