Penelope Williamson
wie möglich
zu schießen. Nein, die Bücher gehören alle mir.«
Delia fragte ehrfürchtig: »Und haben Sie diese Bücher alle gelesen?«
»Viele nicht nur einmal, obwohl sich Giles jedesmal ärgert, wenn
er mich beim Lesen überrascht, weil er das bei einer Frau für reine
Zeitverschwendung hält. Leider denken die meisten Männer so.«
»Ja, mein Vater hat immer gesagt: 'Eine Frau
taugt für einen Mann nur etwas in der Küche und im Bett' ...« Delia verstummte
verlegen. Das hätte sie jetzt bestimmt nicht sagen dürfen. Eine richtige Dame
sprach über solche Dinge nicht. Wann würde sie endlich lernen, den Mund
zu halten und nicht einfach gedankenlos alles zu sagen, was ihr in den Sinn
kam?
Aber Anne schien nichts dabei zu finden. Sie
lachte und sagte: »Richtig, nur so kann man einem Mann die Zügel anlegen, Delia
.. . in der Küche und im Bett. Und ich sage, in der Küche haben wir noch mehr
Einfluß als im Bett. Meine Mutter konnte mit ihren Gerichten meinen Vater
handzahm machen. Sie hatte nie Schwierigkeiten mit ihm. Das wirst du bald
genug selbst herausfinden, Kleines, wenn du erst verheiratet bist. Aber vergiß
nie: Die Küche und das Bett, das ist unser angestammtes Reich, die Welt der
Bücher müssen wir uns erobern.«
Sie legte Delia die Hand auf die Schulter,
als sei sie noch ein Kind, und lächelte. »So, jetzt mußt du aber wirklich
schlafen. Ich könnte schwören, daß dein Nat bei Sonnenaufgang hier erscheint
und dir seine Farm zeigen will. Dann mußt du ausgeschlafen und munter sein.«
Mein Nat .. .
Delia fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, als sie mit schwerem
Herzen die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging.
13
Nat drehte
verlegen die breite Krempe seines Filzhuts in den Händen. »Ich dachte, Sie
wollen vielleicht mit mir hinausfahren und sich die Farm ansehen«, sagte er zu
Delia, aber er blickte dabei auf den Boden.
Delia überkam eine leichte Panik. Und was ist, wenn Tyl kommt,
während ich nicht da bin?
Aber solche Gedanken waren einfach lächerlich. Tyl hatte vermutlich
keinen Grund, die Bishops zu besuchen, nachdem er den ganzen Abend hier
verbracht hatte. Er würde natürlich unter keinen Umständen vorbeikommen, nur
um sie zu sehen.
Delia schämte sich ihrer unsinnigen Träume und lächelte Nat so
strahlend an, daß er verwirrt die Augen zusammenkniff. »Ja, das wäre schön,
Nat«, sagte sie mit samtig tiefer Stimme.
Sie folgte Nat hinaus zu seinem Pferdewagen. Die Stute, die
gemächlich Gras kaute, schnaubte leise, als Nat Delia höflich auf die
Kutschbank half. Als sie seine kräftige Hand am Arm spürte, wartete sie auf
den heißen Schauer, der ihr immer über den Rücken lief, wenn Tyl sie anfaßte.
Aber sie empfand nichts.
Er setzte sich neben sie, und Delia sah ihn noch einmal strahlend
an, als wollte sie mit ihrem Lächeln alles wettmachen, was ihrer Beziehung an
Wärme oder Zuneigung fehlte.
Merrymeeting war hufeisenförmig angelegt. Das neue Pfarrhaus und
die Kirche befanden sich an einem Ende und das Blockhaus mit den Palisaden am
anderen. Der Kai, das Sägewerk und das Haus der Bishops fielen an der Bucht
sofort ins Auge. In der Mitte lag die grüne Gemeindewiese mit saftigem
Sumpfgras, wildem Reis, Rosmarin und Habichtskraut. Auf der Wiese stand ein
hoher Mast mit einem Wetterhahn. Anne hatte
Delia augenzwinkernd gesagt, alle Bewohner von Merrymeeting würden morgens nach
dem Aufwachen als erstes auf den Wetterhahn blicken, um zu sehen, woher der
Wind wehte.
Im Augenblick kam eine sanfte feuchte Brise vom Wasser. Delia trug
ihre langen Locken sittsam unter der blauweißen Haube, die ihr Tyl zwar
geschenkt hatte, aber nicht mochte. Trotzdem hoffte sie, er würde sie jetzt mit
Nat auf dem Wagen sehen. Doch Delia hielt vergeblich nach ihm Ausschau.
Nat fuhr schweigend über den ausgefahrenen Weg am Rand der
Siedlung, der dem Flußufer folgte. Vom Dach der Schmiede stieg schwarzer Rauch
auf, und Delia hörte das Klappern der Mühle. Ein paar Jungen trieben meckernde
Ziegen und Schafe auf die Weide. Sie folgten der Herde in gebührendem Abstand.
Die meisten Häuser von Merrymeeting lagen
jedoch bald hinter ihnen. Der Wagen holperte über einen Knüppeldamm. Man hatte
dicht nebeneinander Stämme über den Weg gelegt. Nat erklärte ihr, das sei in
der regennassen Zeit, also im Frühling, notwendig, um den Weg befahrbar zu
machen, wenn alle Bäche und Flüsse Hochwasser führten und Wiesen und Wege im
Schlamm versanken. Die vielen Bäche überquerten sie auf
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