Penelope Williamson
belustigt. »Das ist jedenfalls eine Ziege. Sie gibt
Milch, und wir können Käse daraus machen. Aber sie ist schlau, und wenn sie
sich losmacht, dann sieht der Garten aus, als sei ein Heuschreckenschwarm
eingefallen.«
Delia sah, daß die Ziege in sicherer Entfernung vom Garten und vom
Rand des Maisfelds an einen Pfahl angebunden war.
»Meine Frau ... das heißt M ... Mary wurde
deshalb oft so wütend, daß sie der Ziege androhte, sie auf der Stelle zu
Hackfleisch zu verarbeiten ...«
Nats Stimme
wurde leise, und er starrte niedergeschlagen auf den Boden. Delia wartete
geduldig, bis er seine Fassung wiedergefunden hatte. Als er sie schließlich
ansah, standen ihm wieder Schmerz und Trauer ins Gesicht geschrieben. Steif und
förmlich sagte er: »Wenn Sie sich jetzt das Haus ansehen möchten, Delia ...«
»Ja, Nat«, sagte sie so heiter wie möglich. »Das möchte ich wirklich
gern.«
Er trat zur Seite und stieß die Haustür auf. Sie betraten einen
kleinen Vorraum, an dessen hinterer Wand sich der gemauerte Schornstein befand.
Neben dem Schornstein führte eine Leiter nach oben. Auf der linken Seite schloß
sich das Schlafzimmer an und rechts die Küche. In der kleinen Diele lagen und
standen Werkzeuge und Gartengeräte wie Hacken, Äxte und Rechen; außerdem
hingen an Holzhaken Regenmäntel, Schneeschuhe und dicke gesteppte Wintersachen.
Eine Muskete hing quer über der Tür.
Delia zog den Kopf ein und trat durch eine niedrige Tür in die
Küche.
Tildy saß an einem Bohlentisch und malte langsam unter Einsatz der
kleinen Zunge mit Kreide Buchstaben auf eine Schiefertafel. Vor ihr lag
aufgeschlagen eine Fibel. Meg stand am Herd und stocherte in der Glut. Als
Delia erschien, richtete sie sich schnell auf und starrte Delia feindselig an.
»Da kommt unsere neue Mama!« rief Tildy. Die Kleine sprang von der
Bank, hielt die Schiefertafel in der Hand und lief zu Delia. »Hier, ich lerne
das ABC.«
Delia betrachtete aufmerksam die Buchstaben. »Du meine Güte, bist
du gescheit.«
»Sie ist nicht unsere neue Mama!« rief Meg empört. »Sie sind noch
nicht einmal verheiratet.«
»Meg, hör damit auf!« sagte Nat streng. Meg schwieg, aber Delia
entging nicht der anklagende Blick, mit dem Meg ihren Vater bedachte.
Mit einem
ärgerlichen Schulterzucken drehte sich Meg um und versuchte,
den großen Kessel mit dem Eintopf, der an einer Kette über der Glut hing, vom
Feuer zu nehmen. Der Kessel war eindeutig zu schwer für die Kleine. Delia trat
zu ihr und wollte ihr helfen. »Ich kann das schon!« stieß Meg keuchend hervor.
Nat nahm ihr wortlos den Kessel aus der Hand. »Ich habe wirklich
genug von deinem Trotz, Meg. Wenn du dich nicht richtig benehmen kannst,
verpasse ich dir eine ordentliche Tracht Prügel.«
Megs schmales Gesicht wurde blaß. Sie biß die Lippen aufeinander,
und Tränen traten ihr in die Augen, aber sie weinte nicht, sondern erklärte
stolz: »Ich muß jetzt sowieso hinaus und Unkraut jäten. Los Tildy, komm mit!«
»Ich will aber nicht!« rief Tildy. Meg nahm ihre widerstrebende
kleine Schwester bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Sie hörten noch eine
Weile Tildys durchdringendes Protestgeschrei. Es half ihr nichts, Meg ließ sich
nicht erweichen.
Nat sah Delia verlegen an und stellte den
Kessel neben die Glut auf den Stein. Er rührte die Suppe um, nahm einen großen
Deckel von der Wand und legte ihn auf den Kessel. »Tut mir leid, Delia. Ich
verstehe nicht, weshalb sie sich so aufführt.« Mit finsterem Blick fügte er
dann hinzu: »Aber ich verspreche Ihnen, das wird aufhören.«
»Bitte, bestrafen Sie Meg nicht meinetwegen«,
sagte Delia. »Sie müssen dem Kind Zeit lassen. Meine Mutter starb, als ich in
Megs Alter war. Ein so großes Mädchen ist alt genug, um den Tod zu verstehen
und was das heißt, die Mutter für immer zu verlieren. Aber man ist noch zu
klein, um damit fertig zu werden, und zurück bleibt nur Angst.« Unwillkürlich
hatte sie Nat die Hand auf den Arm gelegt und sagte noch einmal eindringlich:
»Bitte, schlagen Sie Meg nicht.«
Nat richtete sich steif auf und wich einen Schritt zurück. Delia
ließ unbeholfen die Hand sinken. Er starrte auf den Fußboden und fuhr sich mit
der Hand über die Stirn. »Ach, ich würde es doch nicht über mich bringen, mein
Kind zu schlagen«, murmelte er verlegen.
Delia lachte, und sogar Nat mußte lächeln. »Aber meine Mary hätte
Meg dieses schlechte Benehmen nicht durchgehen lassen.«
Was sollte Delia dazu sagen? Sie schwieg
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