Penelope Williamson
und sah sich aufmerksam
in dem Raum um. Der gemauerte Herd war groß und hatte einen breiten Rauchfang.
Die Wände waren mit gehobelten Brettern verkleidet, an den beiden Fenstern
hingen hübsche bunte Baumwollvorhänge. Die Kücheneinrichtung war einfach, bis
auf eine besonders schön gearbeitete Ahornanrichte, auf der sechs irdene
Teller neben einer weißen Porzellanteekanne standen. Er roch angenehm nach
Myrtenwachskerzen.
Delias Augen richteten sich auf einen
gerahmten Wandbehang, der gegenüber dem Herd hing. Sie trat neugierig näher und
betrachtete ihn.
»Das hat meine Mary gemacht«, sagte Nat voll
Stolz.
»Sehr hübsch, Nat.«
Auf Leinen war mit Seide ein Bild gestickt. Es zeigte einen Stall,
ein Pferd und einen Mann beim Heumachen. Darunter stand ein Spruch, den Delia
nicht lesen konnte.
Nat las ihr den Spruch laut vor.
Meiner
Hände Arbeit soll ohne Pein
Anderen
auf Erden zur Freude sein
Wenn
ich dann liege in der Gruft
Da mein
Gott mich zu sich ruft.
Delia lief ein
Schauer über den Rücken. Was für eine Frau mochte das gewesen sein, die einen
so düsteren Spruch für das Haus ihrer Familie gewählt hatte? Sie erinnerte sich
an ihre Mutter, die ebenfalls einen Wandbehang gestickt hatte, der mit seinen
bunten Blumen und einem Alphabet sehr viel fröhlicher gewesen war. Sie hörte
noch die Stimme ihrer Mutter, die ihr geduldig alle Stiche immer und immer
wieder erklärte – der Blattstich, der Satinstich und die Schlinge. Wenn die
Mutter nicht so früh gestorben wäre, hätte Delia bestimmt auch gelernt, so
schöne Wandbehänge zu machen ...
Neben dem gerahmten Bild hing über dem Spinnrad eine Pendeluhr.
Sie war aus glänzendem Messing und Kirschbaumholz. Das leise Ticken machte den
Raum irgendwie gemütlich.
»Das war mein Hochzeitsgeschenk für Mary.« Nats Stimme klang
tonlos, und er sprach mit sichtlicher Überwindung. »Ich habe lange überlegt, ob
ich ihr eine Kuh oder diese Uhr schenken sollte. Schließlich habe ich mich für
die Uhr entschieden. Aber Mary hat mir später gesagt, ich hätte ihr lieber die
Kuh kaufen sollen. Ja, meine Mary ...«, er seufzte. »Sie war immer so
praktisch.«
Delia dachte, sie hätte lieber die Uhr
gehabt, aber das sagte sie natürlich nicht. Sie richtete sich auf und sah sich
langsam noch einmal um – die hübschen Vorhänge, die Teller auf der schönen
Anrichte, das Spinnrad und der Wandbehang. Mary Parker hatte dem Haus und der
Familie ihren Stempel aufgedrückt.
Nats Blick war starr auf die Uhr gerichtet.
Mary Parker hatte auf unsichtbare Weise auch ihren Mann geprägt. Delia verstand
in diesem Augenblick, daß sie eine beinahe unlösbare Aufgabe übernommen
hatte. Sie unterdrückte ein Seufzen, trat an das Spinnrad und setzte es mit dem
Zeigefinger in Gang.
Wie konnte ich nur so dumm sein und glauben, ich könnte in
Merrymeeting den Platz einer anderen Frau einnehmen?
»Mary hat immer gesagt, das Spinnrad würde
unter ihren Händen anfangen zu singen ...«, hörte sie Nats Stimme in ihrem
Rücken.
Delia drehte sich um und sah ihn an. Sie holte
tief Luft und sagte: »Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Nat. Ich weiß zwar
alles, was man in einer Hafenkneipe tun muß, aber ich bin noch nie auf einer
Farm gewesen. Ich denke, jemand muß mir zeigen, was hier so zu tun ist.«
Nat schüttelte langsam den Kopf. Dann zog er mißmutig die
Mundwinkel nach unten. »Ich will meine Enttäuschung nicht verheimlichen,
Delia. Ich suche eine Frau, weil es für mich eine zu große Last ist, allein für
das Haus und die Kinder zu sorgen. Außerdem brauche ich jemand, der mir bei
der Arbeit auf den Feldern hilft. Was soll ich sonst mit einer Frau ...?«
Was meint er mit dieser Bemerkung: »Was soll ich sonst mit einer
Frau?« dachte Delia und kam sich plötzlich hilflos und sehr einsam vor.
»Vielleicht können Sie mir beibringen, was ich wissen muß«, sagte sie
vorsichtig und erschauerte innerlich bei dem verzweifelten Klang ihrer Stimme.
»Ich lerne schnell ...«
»Vielleicht ...«, Nat hielt das Spinnrad mit dem Handrücken an.
»Aber von Frauenarbeit verstehe ich nichts.«
»Elizabeth Hooker kann hervorragend spinnen. Das weiß ich
zumindest von Caleb. Vielleicht wird sie es mir beibringen.«
Sie sahen sich stumm an. Das Ticken der Uhr schien plötzlich das
gespannte Schweigen noch bedrohlicher zu machen. Schließlich räusperte sich
Nat. »Es ist nicht mehr viel, aber vielleicht möchten Sie den Rest des Hauses
sehen? Die Mädchen schlafen unter dem Dach.
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