Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
Spieler gezwungen sind, den Ball zu erobern, ihn zu halten und ihn nicht zu verlieren.« Das kam den Mitarbeitern in La Masía bekannt vor, denn sie hatten von Laureano Ruíz bereits 15 Jahre vorher ähnliche Dinge gehört. Obwohl alle großen Klubs unter dem Druck stehen, zu gewinnen und kurzfristige Ziele über den langfristigen Nutzen zu stellen, stießen diese Gedanken nicht auf taube Ohren.
Cruyffs Name war zum Synonym für »totalen Fußball« (im niederländischen Original: totaalvoetbal ) geworden, die Spielweise, die Ajax Amsterdam unter dem Trainer Rinus Michels pflegte. Michels sollte später dann auch in Barcelona Cruyffs Trainer sein. Dieses System beruht darauf, dass, wie es im entsprechenden Wikipedia-Artikel heißt, »auf jeder Position, die zuvor von einem Spieler verlassen wurde, ein anderer nachrückt. Dies führt dazu, dass alle zehn Feldspieler zusammen angreifen und alle zehn Feldspieler zusammen verteidigen. Kein Spieler muss auf seiner Anfangsposition bleiben, jeder kann nacheinander Stürmer, Mittelfeldspieler oder Verteidiger sein«, alles in ein und demselben Spiel.
Cruyff fühlte sich von der katalanischen Gesellschaft von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen und wollte sich für diesen Zuspruch erkenntlich zeigen, indem er vor der europäischen Presse seine Meinung kundtat: Er habe sich für Bar Ç a und gegen Real Madrid entschieden, »weil ich nicht für einen Klub spielen könnte, der mit dem spanischen Diktator Francisco Franco verbunden ist«. Sein erstes Kind, ein Junge, erhielt den katalanischen Vornamen Jordi (St. Georg ist der Schutzpatron der Katalanen), und 1974 hatte Cruyff einen entscheidenden Anteil am ersten Meistertitel des Klubs seit 14 Jahren. Auf dem Weg zu diesem Titel gelang der Mannschaft ein historischer 5:0-Auswärtssieg gegen Real Madrid im Bernabéu-Stadion, der bis heute als eines der besten Bar Ç a-Spiele aller Zeiten in Erinnerung ist. Es versteht sich von selbst, dass er 1988, als er das Traineramt in Barcelona übernahm, über genug Vertrauensvorschuss und Charisma verfügte, um mit seinen Vorstellungen vom »totalen Fußball« nur auf wenig Widerstand zu stoßen.
»Das größte Problem war der katalanische Charakter. Wenn du etwas Neues versuchst, melden sie immer Zweifel an: Sie ziehen es vor, abzuwarten und zu beobachten, wie die Dinge laufen«, sagt Johan Cruyff, der die konservative und pessimistische Mentalität der Katalanen inzwischen besser versteht als die meisten anderen Menschen. Er wusste auch, dass genau dieselben Leute, sobald sie durch die Kontinuität und den Erfolg des Teams überzeugt worden waren, zu den treuesten Anhängern seiner Ideen zählen würden.
Cruyff führte einige Zuspielübungen in Bar Ç as System ein. Die Rondos waren seit damals nicht bloß eine Methode, sondern ein Symbol für die Spielweise des Klubs: mit Ballbesitz dominieren, niemals den Ball verlieren. Cruyff verschmolz verschiedene Ideen und Konzepte und machte daraus eine Philosophie, deren Saat im ganzen Klub ausgebracht wurde – in einem Klub, der fieberhaft nach einer fußballerischen Identität suchte. Die erste Mannschaft des FC Barcelona hatte es sich bis dahin in einer Welt der Ausreden und der Feinde bequem eingerichtet. Sie war mit ihrer Opferrolle zufrieden gewesen, wenn es gegen Real Madrid ging, eine Institution, die man in Katalonien als Klub des Establishments betrachtete.
Xavi Hernández beschreibt diesen Stil in seiner reinsten Form: »Ich spiele den Ball und bewege mich, oder ich spiele den Ball und bleibe dort stehen, wo ich bin. Ich sehe zu, dass ich anspielbar bin, um dir zu helfen. Ich sehe dich an, bleibe stehen, behalte den Kopf oben, und vor allem öffne ich den Raum. Wer den Ball hat, bestimmt das Spiel. Diese Erkenntnis entstammt der Schule von Johan Cruyff und Pep Guardiola. Das ist Bar Ç a.« Pep Guardiola formulierte das bei einer Pressekonferenz nach einem der eindrucksvollen Siege gegen Real Madrid sehr prägnant: »Ich habe den Ball, ich spiele den Ball; ich habe den Ball, ich spiele den Ball. Wir haben den Ball, wir spielen den Ball.« T-Shirts mit diesem Slogan sieht man heute überall auf den Straßen von Barcelona.
Ständiger Ballbesitz setzt eine gute Technik voraus, die Fähigkeit, das Spielgerät schnell kontrollieren und gut platzieren zu können. (Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Fußballer besteht nach Cruyff darin, wie gut man den Ball beherrscht und wo man ihn nach der ersten Berührung
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