Per Anhalter (German Edition)
irgendeiner Chatplattform, dessen Namen er ihr zwar erzählt, den sie jedoch schon wieder vergessen hatte.
An und für sich ist es kein Problem mehr in der heutigen Zeit, aber sie war stets felsenfest davon ausgegangen, David würden die Mädchen in Scharen hinterherlaufen.
Vielleicht taten sie es, und er merkte es nur gar nicht, wer weiß…
Wie gesagt, er war eben ein Träumer…
Es hatte lange gedauert, bis sie ihm das naive Trugbild namens „Ich-werde-Architekt“ aus dem Kopf geschlagen hatte, und ihn dazu bewegen konnte, sich einfach mal irgendwo zu bewerben, wo er sich zumindest vorstellen konnte, eine Ausbildung zu absolvieren.
Viel kam da wahrhaftig nicht in Frage.
David war eben nicht nur ein Träumer, sondern auch eine faule Socke und phlegmatisch bis in die dunklen Haarspitzen.
Diese bornierte Trägheit hatte schon nicht mehr nur etwas mit der Pubertät zu tun, sondern war schon eine feste Charaktereigenschaft, die sich nicht mehr ausradieren lassen würde.
Doch dann geschah ein Wunder! Ein Wunder, das selbst David wie ein solches erschien:
Er hatte eine Bewerbung an den Kaufmann im Nachbarort geschickt.
Kaufmann im Einzelhandel war noch einer der wenigen Berufe, die zumindest in Fragmenten für ihn in Frage kamen.
Dieser Kaufmann aus dem Nachbarort hatte sich nach nur einer Woche telefonisch zurückgemeldet und David zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Sie hatte vor dem Geschäft gewartet und sie war bis heute sicher, noch nie so drastisch geschwitzt und gezittert zu haben, wie an diesem Tag.
Dann kam David wieder raus. Anhand seines Gesichtes, welches sie im Rückspiegel ihres Autos sah, konnte nicht einmal sie als Mutter mehr ablesen, wie es wohl gelaufen war.
David lebte seit längerem in seiner ganz eigenen Welt, die aus Computer spielen bestand und die für alle anderen verschlossen war, lebte abgekapselt und versteckt in sich selbst, und wenn er mal Gefühle zeigte, war das schon ein Grund, mit Argwohn zu hinterfragen, ob mit ihm alles in Ordnung war.
Er hatte sich ins Auto gesetzt, auf den Beifahrersitz, und nichts gesagt.
Sie auch nicht.
„Ja“ sagte er schließlich nach einer Ewigkeit, „Nu fahr schon los.“
„Wie ist es gelaufen? Sag mir erst, wie es gelaufen ist…“ – Und jetzt konnte selbst David sein Lächeln nicht mehr zurückhalten. Er hatte sie einfach in den Arm genommen. In den Arm genommen , hatte sie daraufhin ihren ebenfalls schwer überraschten Eltern erzählt, David! David hat mich in den Arm genommen, könnt ihr euch das vorstellen?
Ja, er hatte sie in den Arm genommen, sie sogar merklich fest gedrückt und ihr ins Ohr geflüstert: „Nächste Woche soll ich unterschreiben!“
Was war das für eine Erlösung. Herr im Himmel, was war das für eine grenzenlose, unfassbare, nicht zu beschreibende Erleichterung gewesen. David(!) hatte einen Ausbildungsplatz.
In einem richtigen , einem anständigen Beruf. Ja, das hatte er.
Er war ihr Sohn und sie war so stolz auf ihn. Sie war überzeugt davon, er würde jetzt endlich erwachsen werden. Er hatte jetzt ein Ziel und er war wie ausgewechselt. Sie hatte allen die sie kannte erzählt, dass sie jetzt dafür sorgen würde, dass er nicht wie sein Vater endete.
Oh ja, dafür würde sie sorgen, und er selbst auch, denn er wurde jetzt schließlich erwachsen.
Das waren die Aussichten. Der Plan. Bis vor einem Monat etwa.
Und heute? Nun ja, heute hatte sie immerhin noch Nadja, an die sie glauben konnte. Nadja war genau wie sie, das komplette Gegenteil ihres Bruders.
Väterlicherseits hatte auch sie keine besonders guten Gene mit auf den Weg bekommen, aber immerhin etwas bessere als David. Ihr Vater ging arbeiten, trank selten und war zumindest dazu in der Lage, von Zeit zu Zeit mal anzurufen. Unterhaltszahlungen hingegen kamen auch bei ihm eher unregelmäßig.
Wie dem auch sei, Nadja ging auf die Realschule, war jetzt, mit ihren nicht ganz 12 Jahren, schon selbständiger als ihr fünf Jahre älterer Bruder, und würde ganz sicher ihren Weg machen. Doch an Abenden wie diesem, und davon gab es in den letzten Wochen außerordentlich viele, war auch das nur ein schwacher Trost.
Was war geschehen? Gott, wenn sie nur darüber nachdachte kamen ihr die Tränen und sie hätte vor Wut wieder am liebsten alles durch die Gegend geschmissen und wie eine Furie geschrien.
Genau wie an jenem Nachmittag, als David nach Hause kam, mit seinem dickfelligen, leidenschaftslosen und vollkommen
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