Per Anhalter (German Edition)
übel.
Ablehnen! Ablehnen! Abmelden, raus aus Facebook, raus aus dem Internet. Alles steht auf Rückzug. Sie wird panisch, fühlt sich bloßgestellt, ertappt. Wieso sucht er mich? Wieso? Er muss doch wissen, dass ich nichts von ihm sehen, hören oder lesen möchte. Ablehnen!
Sie klickt auf Ablehnen . Hat er mir auch noch eine Nachricht mitgeschickt? Hat er? Nein! Nein, hat er nicht. Bea hat was geschrieben und Mailin, ihre Schwester. Sie liest es nicht, sondern meldet sich sofort ab. Bloß raus aus dieser Hölle , denkt sie und klappt den Laptop zu.
Sie fühlt sich irrsinnig eingeengt, so als wäre sie mit einem unangenehmen Kerl stundenlang in einem Fahrstuhl eingesperrt gewesen. Sie hat das Gefühl zu ersticken!
Ihr Leben besteht plötzlich aus einer Million offener Fragen.
Was weiß er noch über mich?
Warum sucht er nach mir?
Was will er jetzt nach all den Jahren?
Weiß er wo ich wohne?
Ist er dazu in der Lage, noch mehr herauszufinden? Meine Handynummer zum Beispiel…
Timos Handynummer??
Hat er sich meiner Träume ermächtigt?
Sie sieht seine mit Blut und Erde verkrustete Hand vor sich…
Seinen langen Arm, der sich im Zeitungsschlitz windet, aufwärts kriecht bis er den verflixten Schlüssel umdreht.
Ich bin es doch nur… Hast du mich vergessen… Mach doch auf!
Für den Bruchteil von Sekunden wird ihr schwarz vor Augen.
Sie steht vom Sofa auf, in einem Zustand, den man allenfalls als Trance beschreiben kann.
Marie-Joy spielt noch immer mit dem Handy, in dem süßen pinkfarbenen Hello Kitty Pullover, den sie ihr letzte Woche gekauft hat.
Ihr wunderschönes, großes Mädchen.
Sie lässt sich ihr Leben nicht kaputt machen. Nicht von diesem… diesem Krüppel .
Diesem Stalker !
Taumelnd erreicht sie die Küche.
Sie hat die Bratpfanne bereits vorbereitet, die Kartoffeln geschnippelt und Schinken drin. Sie muss das Essen zubereiten. Für ihren Freund, für ihre kleine Familie. Sie stellt die Herdplatte auf die höchste Stufe, schiebt die Pfanne darauf hin und her, vor und zurück.
Ihr Magen beginnt zu rebellieren.
Kurz darauf reißt Timo die Küchentür auf und sie zuckt, ohne dass sie etwas dagegen tun kann, zusammen .
„Was hast du denn?“ fragt er sie.
„Nichts. Nichts!“ sie lächelt ihn an. Er riecht gut nach Axe-Deo und Duschgel.
Er ist nur mit einem Handtuch und Badelatschen bekleidet. Und sie sieht, dass er sich rasiert hat. Ihr hübscher Mann. Der Mann, den sie nie verlieren will. Niemals!
„Na mein Hübscher“ flüstert sie und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
Er hebt die Augenbrauen und guckt sie argwöhnisch an.
„Was iss´n mit dir los?“,
„Nix! Wieso?“
Er überlegt. „Nur so.“
„Alles gut. Ich werde ja wohl meinen Mann mal küssen dürfen, oder?“
Er lacht.
„Klar! Aber wenn dann richtig!“
Seine Lippen berühren die ihren, seine Zunge bahnt sich den Weg in ihren Mund. Es ist ein vertrautes Gefühl. Sie weiß genau wie er küsst, und er weiß genau wie sie küsst.
Nur eines ist ungewöhnlich: Sie haben es seit Jahren schon nicht mehr einfach so nebenher getan. Und Lenas Gedanken waren bei einem Kuss noch nie so weit fort wie bei diesem.
„Mmmmh!“ sagt sie und zwinkert ihn an.
Er zwinkert zurück.
„Ich freu mich schon wenn die Püppie im Bett ist“
Sie hat keine Ahnung warum sie es sagt. Sie hat nicht für fünf Pfennig Lust auf Sex oder Zärtlichkeit. Sie hat Angst! Panische Angst!
Angst davor, dass er es ihr was anmerkt, dass er bald von David erfährt… Dass David wirklich kommen wird…
Die Ausbuchtung unter dem Handtuch spricht Bände.
„Ich mich auch!“ sagt er und gibt ihr einen Klaps auf den Po.
Dann fängt er an irgendwas zu erzählen… Irgendwas… Sie hört gar nicht hin.
Ihr ist kalt. Bitterkalt!
***
Sie hat noch nicht auf die Anfrage reagiert.
Was soll der Scheiß überhaupt?
Was hat er sich nur dabei gedacht?
Das hätte er einfach nicht tun sollen. So ein Blödsinn!
Er nippt an seinem Grafenwalder Gold und dreht sich eine Zigarette.
Er hat sich wieder mal zum Affen gemacht.
Vor Lena.
Sie ist eine bildhübsche junge Frau geworden. Immer noch recht klein, immer noch ein so zierliches Gesicht, nur weitaus fraulicher als noch vor 10 Jahren.
Er hat die Bilder von ihrer Tochter nicht gesehen. Die sind nicht für jedermann zugänglich. Er ahnt nichts davon. Er weiß nicht, ob sie vergeben ist oder nicht, denn auch das wird erst angezeigt, wenn sie die Freundschaft bestätigt
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