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Per Anhalter in den Himmel - wahre Geschichten für Teens

Per Anhalter in den Himmel - wahre Geschichten für Teens

Titel: Per Anhalter in den Himmel - wahre Geschichten für Teens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerth Medien GmbH
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Handtasche? Wo ist meine Handtasche?“
    Es war jeden Tag dasselbe, bis Mary B’s Klagen zu einer Art ständigem Hintergrundgeräusch wurden, so wie das Geräusch der Essenswagen, wenn sie über den Linoleumboden geschoben wurden, oder das Summen der Klimaanlage.
    Wir wussten alle, dass Mary gar keine Handtasche besaß, aber gelegentlich blieb doch jemand vom Pflegepersonal stehen und hörte ihr aus Freundlichkeit und Fürsorge zu, obwohl er oder sie alle Hände voll zu tun hatte. Die meisten von uns manövrierten allerdings in der Regel um sie herum mit ein paar beiläufigen Worten wie: „Klar, Mary, wenn ich Ihre Handtasche irgendwo finde, bringe ich sie Ihnen sofort.“
    Die meisten von uns taten das – außer einem.
    Das Letzte, was ich von Kennie Jablonsky erwartet hätte, war, dass er Mary B. zuhören würde, aber seltsamerweise hatte er immer ein paar Worte für sie.
    Was hat er vor?, fragte ich mich und beobachtete ihn argwöhnisch. Mein erster Verdacht war, dass er bei uns arbeitete, um an Medikamente und Betäubungsmittel zu kommen. Ich glaubte, einen potenziellen Störer ausgemacht zu haben.
    Jeden Tag, wenn Mary B. ihn anhielt, um ihn nach ihrer Handtasche zu fragen, und Kennie dann versprach, danach zu suchen, wurde ich misstrauischer. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass Kennie etwas ausheckte und dass er Mary B. zur Durchführung seines Planes benutzen wollte. Er will bestimmt Drogen stehlen , sagte ich mir, und sie irgendwo bei Mary deponieren. Irgendein Komplize wird dann herkommen und sie hinausschmuggeln. Ich war mir dessen so sicher, dass ich die Sicherheitsvorkehrungen der Medikamentenausgabe verstärkte.
    Eines Abends kurz vor dem Abendessen sah ich Kennie mit einer Plastiktüte in der Hand den Gang entlangkommen. Die Tüte war offensichtlich schwer.
    Jetzt ist es so weit , sagte ich mir und stand von meinem Platz hinter dem Schreibtisch auf. Ich ging hinter ihm her, aber mir war klar, dass ich Beweise brauchte. Hinter einem beladenen Wäschewagen blieb ich stehen. Er war hoch genug, dass ich mich dahinter verstecken konnte, aber ich konnte immer noch deutlich erkennen, wie Kennie den Gang entlang auf Mary B.s Rollstuhl zuging.
    Bei Mary angekommen sah er sich wachsam nach allen Seiten um. Ich duckte mich schnell, damit er mich nicht entdeckte, aber ich konnte immer noch deutlich ausmachen, wie er den Gang entlangspähte. Es war ganz offensichtlich, dass er nicht gesehen werden wollte bei dem, was er vorhatte.
    Er nahm die Tüte. Ich erstarrte … bis er eine rote Handtasche daraus hervorholte.
    Mary schlug sich die knochigen Hände freudig vors Gesicht und griff dann gierig nach dem Schatz wie ein ausgehungertes Kind, das eine Brotkante stiehlt. Einen Augenblick lang hielt sie die Tasche fest, nur um sie anzusehen, dann presste sie sie an ihre Brust und wiegte sie wie ein Baby.
    Kennie sah sich wieder wachsam um. Als er niemanden entdeckte, beugte er sich zu Mary hinunter, öffnete den Verschluss, griff in die Tasche und zeigte Mary einen roten Kamm, eine kleine rote Geldbörse und eine Kinderbrille. Freudentränen liefen Mary über das Gesicht, zumindest deutete ich sie als Freudentränen. Auch über mein Gesicht rannen Tränen.
    Kennie tätschelte Mary leicht die Schulter, knüllte die Plastiktüte zusammen und warf sie in den Papierkorb, der in der Nähe stand. Dann ging er weiter seiner Arbeit nach.
    Ich ging zu meinem Schreibtisch zurück, setzte mich hin und griff in die unterste Schublade. Dort lag meine alte, zerlesene Bibel. Ich schlug das 7. Kapitel des Matthäusevangeliums auf und bat den Herrn um Vergebung.
    Am Ende der Schicht stand ich in der Nähe des Personaleingangs. Kennie kam den Gang entlanggetänzelt, seine Jacke und sein Radio auf dem Arm.
    „Hi Kennie“, sagte ich. „Wie geht’s denn so? Meinst du, dass dir der Job hier gefallen könnte?“
    Kennie wirkte überrascht, zuckte dann die Achseln und grummelte: „Ist eben das Beste, was ich je kriegen werde.“
    „In der Krankenpflege hat man gute Aufstiegschancen“, sagte ich, und mir kam ein Gedanke. „Äh, hast du eigentlich mal daran gedacht, eine richtige Krankenpflegeausbildung zu machen?“
    Kennie schnaubte nur. „Sie machen wohl Witze. Auf so was hab ich absolut keine Chance. Der Pflegehilfekurs war kostenlos, sonst hätte ich auch diesen Job nicht.“
    Ich wusste, dass das stimmte. Kennie stellte sein Radio ab und zog sich die Jacke an.
    „Da wär’n echtes Wunder nötig, dass ich aufs College

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